½ Jahr Briefmarke „Heidelberger Platz”: Kathedrale oder Keller?

Seit dem 1. März 2022 zeigt eine Briefmarke den südlichen Zugang zum Bahnsteig des U-Bahnhofs Heidelberger Platz und kann für 2 Euro75 käuflich erworben werden. Hier folgt ihre ganze Geschichte.

Volle 122 Jahre, seit 1849 die erste (bayrische) Briefmarke erschien, mußte Deutschland – egal, wie groß es gerade war und wieviele es davon gab – warten, bis es 1971 zum ersten Mal eine U-Bahn-Briefmarke verkleben konnte. Damals brach die Westberliner Postverwaltung den Bann mit „U-Bahn 1971“ zum Wert von 1 DM. Seitdem ging es Schlag auf Schlag: nach diesmal nur 31 U-Bahn-losen Briefmarkenjahren kam 2002 „100 Jahre Berliner U-Bahn“, und 2020 trat das Bundesfinanzministerium, Referat Postwertzeichen (oder war es die Deutsche Post, Abteilung Frankierung?) eine regelrechte Lawine los mit der Serie „U-Bahn-Stationen“. Kaum waren München, Frankfurt und Hamburg dran gewesen, war es im März als viertes – Wilmersdorf. Und nicht etwa Schöneberg oder Charlottenburg; aber dazu gleich mehr.

In der Begründung für die Auswahl verweist das Bundesfinanzministerium auf den „sakralen Charakter“ der Haltestelle Heidelberger Platz, denn sie wirke „mit ihren hohen Decken, den doppelreihigen Kreuzgratgewölben und den markanten, mit Ketten leicht versetzt über den Gleisen befestigten Pendelleuchten wie eine Kathedrale“ und gelte (daher?) „vielen Einwohnern und Touristen als die schönste Haltestelle der Stadt“. Hat man dort denn nicht gelesen, was am 8.10.1913 – also wenige Tage vor der offiziellen Inbetriebnahme – in der Abendausgabe des „Berliner Tageblatts” stand? „Der Heidelberger Platz nun gar, wo die tiefe Lage des Bahnhofs eine hohe Wölbung gestattet, ist zu einem richtigen Weinkeller ausgestaltet. Breite granitene Sockel tragen hochstrebende Bogen, von denen die Laternen lustig herniederschaukeln, das ganze sieht fast wie ein Spott auf die Zwecke der Anlage aus.“

Nun ja, so verschieden kann man diesen Bahnhof also sehen. Jetzt aber zu Charlottenburg und Schöneberg. Das waren nämlich Wilmersdorfs Konkurrenten um steuerkräftige Besserverdiener, die es in der Boomregion von Berlin und Umland Ende des 19. Jahrhunderts anzulocken galt. Dafür brauchte man eine immer schnellere Verbindung mit Berlin. Am schnellsten war die U-Bahn. Charlottenburg hatte eine, Schöneberg auch, nur nicht Wilmersdorf. Das Problem: Die Wilmersdorfer U-Bahn sollte an die Stamm-Linie Warschauer Brücke – Knie (Ernst-Reuter-Platz) angeschlossen werden, aber der Ausgangsbahnhof Wittenbergplatz gehörte damals zu Charlottenburg. Und dort bemühte man sich redlich um Ver- oder wenigstens Behinderung. 1910 konnte endlich das Bauen losgehen. Aber wohin führte diese Wilmersdorfer U-Bahn?

Zunächst einmal zum Fehrbelliner Platz, der zum neuen Verwaltungszentrum von Wilmersdorf – seit 1906 Stadt – ausersehen war, einschließlich neuem Rathaus, das nie gebaut wurde. Zu dieser Zeit war jedoch die gesamte Gegend um den Fehrbelliner Platz noch so gut wie unbebaut, so daß dieser Plan von Terraingesellschaften als Aufforderung verstanden wurde, die Ländereien längs der zukünftigen U-Bahnlinie zu kaufen, zu erschließen und enorme Gewinne zu machen. Das galt auch für die Umgebung des Heidelberger Platzes (auch der U-Bahnhof Reichskanzlerplatz (Theodor-Heuss-Platz) stand 1908 allein auf weiter Flur).

Hatte Wilmersdorf im Vergleich zu Schöneberg und Charlottenburg zwar erst später eine U-Bahn bekommen, so sollte sie dann doch wenigsten prunkvoller sein: Wuchtige Granitsäulen, Kassettendecken, aufwendig kunstgeschmiedete Eingangstore, Mosaike, Kartenhäuschen aus Eichenholz waren ein Muß, und in der Station Heidelberger Platz fand sich auch noch Raum nach oben für Kreuzgratgewölbe … und Pendelleuchten: voilà „die schönste Haltestelle der Stadt“! Und so kam es, wie es kommen mußte: 109 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme wurde die Station zur Briefmarke.

„Heidelberger Platz Berlin”: 30×55 mm, Mehrfarben-Offsetdruck, naßklebend, Wert: 2,75 € (Maxibrief bis 1000 g), Michel-Katalog: BRD MiNr. 3674

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