Landhausquartier: Kann die Verfasserin des Gutachtens nicht weiterhelfen?

Seit über einem Jahr geht es um die Streitfrage, ob die Anbringung von Balkonen an Häusern im Landhausquartier (Berliner Straße 65-66* und Barstraße 11-12) sich als Modernisierungsmaßnahme mit der Erhaltungssatzung verträgt, die für diesen Teil von Wilmersdorf gilt.

Berliner Straße 66-65
Zwei Standpunkte

Die Mieter möchten das nicht, weil Balkone ihrer Meinung nach die Häuser verunstalten und außerdem wegen des großen Gartens überflüssig seien und ihre Miete um 157 Eu im Monat erhöhen würden. Sie verweisen dabei auf das Gutachten von 1994**, das im Auftrag des Bezirks Wilmersdorf angefertigt wurde und als Grundlage für die Erhaltungssatzung zum Schutz des Landhausquartiers diente.

Auch Bezirksstadtrat O. Schruoffeneger berief sich auf dieses Gutachten, als er in der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses vom 20.11.2019 mit Hinweis auf S. 18 „glaubhaft darstell[te], dass er genehmigen muss” (Ausschußvorsitzende). In der darauffolgenden Sitzung vom 18.12.2019 bekräftige er seinen Standpunkt: „Die in dem alten Gutachten erwähnten ortstypischen Gestaltungsmerkmale seien nicht trennbar in Villen und Landhäuser. Es gehöre alles zusammen. Das zeige auch eine darin enthaltene Karte, in der nicht unterschieden werde zwischen diesen beiden Arten von Häusern.“ (Pressebericht)

Blick in das Gutachten

Wir möchten unseren Lesern die Möglichkeit geben, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen, indem wir die relevanten Stellen des Gutachten vorstellen.

Gutachten, S. 18

Dort heißt es auf S. 18: „Die ortstypische Bebauung ist durch folgende Gestaltungsmerkmale gekennzeichnet:“, gefolgt von zwei Blöcken von Merkmalen. Der erste Block wird eingeleitet mit „zweigeschossige Villen“, der zweite mit „zweigeschossige Landhäuser“, beide Blöcke getrennt durch ein „und“. In der Kopie ist ein vom Bezirksamt eingesetzter Klebepfeil erkennbar, der im Block „Villen“ auf „Betonung durch Erker und Balkone“ zeigt – die Stelle, auf die der Stadtrat im November verwies. Auf die betroffenen Gebäude wird dann im Detail Bezug genommen, und zwar auf S. 36: „Das ebenfalls von ‚Grosser&Klein‘ erstellte Landhausensemble zwischen Barstraße, Berliner Straße und Brienner Straße ist sparsam im Dekor und in der Gliederung. … In Ergänzung des Landhausensembles entstand Mitte der 20er Jahre die Villa Becker in der Brienner Straße.“

Was die erwähnte Karte betrifft, so handelt es sich um „Untersuchung zur Gebietskennzeichnung, IX-B 12, Gebäudetypologie“. Dort wird, gesondert nach Einzel-, Doppel- und Reihenhaustyp, gegenübergestellt, ob es sich dabei um „Villa/Landhaus“ oder „abweichenden Haustyp“ handelt. Diese Karte befindet sich im Abschnitt „Erhaltungssatzung“, der auf dem Abschnitt „Schutzwürdigkeit des Landhausquartiers“ aufbaut. Dort unterscheidet das Gutachten zwischen den in den 20er/30er Jahren entstandenen typischen Gebäude des Landhausquartiers und den seit den 50er Jahren errichteten, „das Erscheinungsbild des Landhausquartiers beeinträchtigenden Neubauten“ (S. 15).

Lösungsmöglichkeit

Es liegen also zwei völlig konträre Standpunkte vor, die sich beide auf ein und dasselbe Gutachten berufen. Im Hinblick auf das städtebauliche Erscheinungsbild von Wilmersdorf nahe dem alten Ortskern, aber auch im Hinblick auf eine tragbare Mietbelastung, ist die Klärung der Frage von erheblicher Bedeutung Es bietet sich an, die Verfasserin des Gutachtens selbst, Frau Eva Maria Niemann (Niemann & Weineck Städtebau und Architektur), in einer Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses, an der üblicherweise der Bezirksstadtrat teilnimmt, zu befragen, um diese Streitfrage abschließend zu klären.
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* Diese beiden Häuser werden auch „Professorenhäuser“ genannt wegen der einst dort wohnenden Professoren, unter ihnen der Pflanzenphysiologe Gottlieb Haberlandt, Mitentdecker der pflanzlichen Hormone (W.-R. Bonk, 150 Jahre Wilmersdorf, Teil 2, S. 94).
** Planungsbüro Niemann & Weineck: „Das Landhausquartier in Wilmersdorf. Maßnahmen zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart“, November 1994

Ergänzung vom 7.2.2020  Der Denkmalbeirat der BVV hat sich mit den Häusern beschäftigt und eine Empfehlung für die BVV verfaßt, die allerdings noch nicht öffentlich gemacht ist.
Außerdem ist offenbar bisher keine ausdrückliche Genehmigung des Bezirksamtes ergangen, mit der der Anbau von Balkonen an den Außenfassaden für zulässig, in Übereinstimmung mit der Erhaltungssatzung, erklärt ist.

Zweite Ergänzung vom 22.2.2020  Per Dringlichkeitsbeschluß hat die BVV am 20.2. einstimmig das Bezirksamt aufgefordert, “sich beim Landesdenkmal dafür einzusetzen, dass die betroffenen Gebäude [Berliner Str. 65-66] sowie Wohnhäuser an der Barstraße 11/12 und der Brienner Straße 9/10 inklusive der dazugehörigen Gärten unter sogenannten Ensembleschutz gestellt werden.” (Tagesspiegel Leute Newsletter vom 21.2., Absatz “Denkmalschutz“).

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