Fortwährend treffen wir auf der Straße auf Schriftzüge. Die einen sind dort nur vorübergehend, andere auf längere Zeit und andere auf Dauer angelegt. Entsprechend sind ihre Trägermaterialien Papier, Stoff, Metall, Stein. Sie machen Vorschriften, werben für etwas, nennen einen Namen, geben einen Hinweis, kündigen an, sind privater oder offizieller Natur.
Die hier vorgestellten dreizehn Schriftzüge aus Wilmersdorf sind vierzig bis hundertzehn Jahre alt. Ihre jeweilige Botschaft wird in ihren historischen Bezug gesetzt.
Bauinschrift Wilhelmsaue 10, 1908
Vor Jahrhunderten dokumentierten Bauinschriften mit einer Jahreszahl den Zeitpunkt der Errichtung eines Gebäudes. Später kamen eventuell der Name des Bauherrn u.a. hinzu. Im Jahr 1908 gab es jedoch längst andere Wege der Dokumentation. Daher kann man vermuten, daß „ERBAUT 1908 A. FUCHS, ARCH.“ – an der rechten Hauskante auf Augenhöhe der Passanten in zehn Zentimeter großen Majuskeln eingemeißelt – den Stolz des Bauherrn auf sein von ihm entworfenes Haus ausdrücken sollte.
Und er hatte recht, denn diese Fassade hebt sich von denen der Nachbarn ab: Eine Loggia bildet den Übergang zwischen Straße und Hausinnern. Sie wird an der Außenseite von einem eleganten Korbbogen umrahmt und faßt unter einem Kreuzgratgewölbe den fünfstufigen Aufgang zur Haustür und den Abgang zum Keller zusammen. Die Wand zwischen beiden Treppen zeigt an ihrer Stirnseite ein antikisierendes Relief, auf dem eine Frauengestalt eine Schale reicht: ein Willkommensgruß an den Fremden, der das Haus betritt? Den Kellerabgang sichert ein Türchen im Jugendstil.
Und noch eine Besonderheit: In diesem Haus betrieb Marlise Ludwig von 1950 bis 1982 ihre Schauspielschule. Zu ihren Schülern gehörten u.a. Horst Buchholz, Cornelia Froboes, Wolfgang Gruner, Harald Juhnke, Dieter Hallervorden, Vera Tschechowa und Brigitte Grothum.
Die Beiträge erschienen erstmals von August bis Oktober 2022 im wöchentlichen Newsletter des Tagesspiegel für Charlottenburg-Wilmersdorf.