Buchbesprechung: Libertas Schulze-Boysen und die „Rote Kapelle“ – Widerstand im Dritten Reich

Ein weitverzweigtes Netz von Männern und Frauen mit Wohnsitz vor allem in Charlottenburg und Wilmersdorf, die den Zweiten Weltkrieg verhindern wollten und dazu unter anderem ihre detaillierten Kenntnisse über NS-Kriegspläne an die Sowjetunion und die USA weitergaben, war die Schulze-Boysen/Hartnack-Gruppe. Die Nationalsozialisten nannten sie die „Rote Kapelle“. Lange noch nach dem Krieg wurden ihre Mitglieder als Verräter bezeichnet, und in der Schule hat man von ihnen so gut wie nie gehört.

Unter den elf, die als erste am 22. Dezember 1942 in Plötzensee durch Erhängen oder Köpfen ermordet wurden, war neben den Namensgebern Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen auch dessen Ehefrau Libertas Schulze-Boysen (1913-1942). Über sie brach die Nachwelt in besonderem Maße den Stab, hatte sie sich doch nicht so heldenhaft verhalten, wie es jemand erwarten kann, der sich selbst nie unter Lebensgefahr seiner Regierung widersetzt hat. So ist es nicht erstaunlich, daß die Literatur über sie 75 Jahre nach ihrem Tod an einer einzigen Hand abgezählt werden kann. Allein schon daher ist es erfreulich, daß Frank Wecker sich mit ihr in seinem neuen Buch Der Tod der Freiheit. Der letzte Tag im Leben von Libertas Schulze-Boysen beschäftigt hat.

Um einen lebendigen Eindruck von ihr und ihrem Umfeld zu schaffen, greift Frank Wecker auf das Mittel der dokumentarischen Erzählung zurück, verbindet also belegte Kenntnisse über sie mit seiner eigenen Erzählung. Als Rahmen dafür wählt er ihren letzten Lebenstag vom Aufwachen bis zur Hinrichtung. Frank Wecker läßt sie – inspiriert durch die Tatsache, daß sie als Pressereferentin, Kritikerin und Theoretikerin beruflich mit dem Filmgeschäft zu tun hatte – in diesen letzten Stunden die wesentlichen Stationen ihres Lebens in Form eines von ihr selbst gedrehten Filmes darstellen, immer wieder unterbrochen durch ihr unmittelbares Erleben in der Todeszelle.
Frank Wecker zeigt auf diese Weise eine junge Frau, die nicht zur Widerstandskämpferin geboren schien, deren Leben vielmehr gekennzeichnet war durch eine sorglose Jugend, durch gehobene sportliche Aktivitäten wie Reiten, Tennis und Segeln und überhaupt durch den Wunsch, das Leben zu genießen. Mit 21 Jahren lernte sie 1934 ihren späteren Mann kennen, und ihr Leben bekam eine völlig neue Wendung, die sie zur Widerstandskämpferin werden ließ. Es entsteht das Bild einer Frau, die hin und her gerissen war zwischen dem Willen zu leben und dem Abscheu vor dem, was die Nationalsozialisten aus dem Leben gemacht hatten; an der Zweifel über ihr riskantes Tun nagten, die aber, statt zu verzweifeln, weiterkämpfte; die, trotz all ihrer persönlichen Schwächen und angesichts des so grenzenlos erscheinenden Machtapparats der Nationalsozialisten, Sand in dessen Getriebe zu streuen versuchte.

Frank Wecker, Der Tod der Freiheit. Der letzte Tag im Leben von Libertas Schulze-Boysen. Eine dokumentarische Erzählung, 2018 edition winterwork, ISBN 978-3-96014-435-9, 19,90 Euro

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