
Auf diesem Google-Earth-Foto sieht man das große Grundstück an der Knobelsdorffstraße, auf dem die Autohero GmbH Gebrauchtwagen zum Verkauf anbietet (1). An der Stelle, die auf dem Foto mit der Pfeilspitze markiert ist, wäre vor gut 110 Jahren fast ein schmuckes Wohnhaus entstanden, wenn nicht ….
Der Rentier und Rittergutsbesitzer Bruno Piéla hatte im Mai 1909 bei den Charlottenburger Behörden einen Antrag zum Bau eines Wohnhauses gestellt. Zur Begrifflichkeit: Herr Piéla war kein Rentner in heutigen Sinn. Der inzwischen praktisch ausgestorbene Begriff „Rentier“ bezeichnete damals eine Person, die von regelmäßigen Zahlungen aus Aktiendividenden, der Vermietung von Immobilien oder der Verpachtung von Land lebte. Herr Piéla war einer der zahlreichen – wie soll man es bezeichnen: Immobilienkaufleute? Spekulanten? in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Als er bei der Baupolizei hoffnungsfroh seinen Bauantrag einreichte, besaß er bereits mehrere Mietshäuser im Berliner Raum, hatte ein Büro am noblen Kurfürstendamm 21 und wohnte in der Wielandstraße und seit 1898 auf seinem niederschlesischen Rittergut in Ober-Schreibersdorf (seit 1946: Pisarzowice Górne). Bruno Piéla war also ein „alter Hase“ in der Branche – eigentlich. Und trotzdem ging die Sache in Charlottenburg schief. Sein Bauantrag wurde abgelehnt. Weshalb?
Die Charlottenburger Tiefbaudeputation und die zuständige Baupolizeibehörde bezogen sich
in ihrem Bescheid vom 6. November 1909 auf den § 12 des Preußischen Fluchtliniengesetzes von 1875 in Verbindung mit dem Ortsstatut. Es dürften keine Wohngebäude an Straßen errichtet werden, die noch nicht für den öffentlichen Verkehr und den Ausbau erschlossen worden sind. Das war für diesen Teil der Knobelsdorffstraße der Fall. Punkt.
Bruno Piéla gab sich mit dieser Entscheidung nicht zufrieden. Am 18. November 1909 erhob er Klage beim Bezirksausschuss zu Potsdam – heute nennt man es Verwaltungsgericht. Er argumentierte, dass es für die Gemeinde durchaus möglich sei, einer Ausnahme zuzustimmen. § 15 des Gesetzes erlaube es doch, dass der potenzielle Bauherr die Erschließungskosten und für fünf Jahre den Unterhalt der neuen Straße übernimmt. Das, so Piéla, hätte er der Behörde auch angeboten. Die Stadt hatte ihm mit Schreiben vom 29. Juli 1909 allerdings erklärt, dass sie derartige Ausnahmegenehmigungen grundsätzlich ablehne. Diesen Standpunkt hielt Piéla für willkürlich und ungesetzlich. Nun musste also das Gericht entscheiden.
In der Sitzung vom 8. April 1910 entschied der Bezirksausschuss zu Berlin, Abteilung I, die Klage von Herrn Piéla abzuweisen. Die Kammer stellte sich hinter die Argumente der beklagten Behörde. Diese hatte als Gründe des öffentlichen Interesses aufgeführt, dass die Regulierung der verlängerten Knobelsdorffstraße nicht ohne den gleichzeitigen (Neu-)Bau der Knobelsdorffbrücke erfolgen könne. Dies wiederum sei eine Aufgabe, die man nicht privaten Unternehmen überlassen könne.
Tatsächlich gab es 1910 bereits konkrete Planungen, die alte hölzerne Knobelsdorffbrücke durch eine Eisenkonstruktion zu ersetzen und auch die westliche Knobelsdorffstraße zu erschließen. Dass das wegen des Weltkriegs, Revolution, Inflation und behördlichen Querelen noch zwanzig Jahre dauern würde, konnte damals keiner ahnen. Herr Piéla durfte das Haus also nicht bauen. Was ist uns da möglicherweise entgangen? (2)

Die Fassade zeigt ein fünfgeschossiges Wohnhaus mit Elementen des Jugendstils. Es sollte in Form eines Blocks gebaut werden, wobei sich dem Vorderhaus ein rechts liegender Seitenflügel und ein Hinterhaus anschließt. In der Mitte befand sich ein nach links offener Hof – also ein typischer Bau der damaligen Zeit. Die Wohnungen waren großzügig bemessen. Die rechts liegenden Wohnungen hatten jenes Berliner Zimmer, das früher die Gemüter erhitzte und das heute bei vielen Bewohnern wieder Wertschätzung erlangt. Nahe der Küche war ein kleiner Raum für die Dienstmädchen vorgesehen.
Diese Wohnungen waren offensichtlich für ein bürgerliches, ja, wohlhabendes Klientel designiert. Mit dem Bau wäre bevölkerungssoziologisch ein Kontrast zum eher proletarischen Kiez im Schlossviertel entstanden. Ob Piéla geplant hatte, links zu dem Solitär mit einem weiteren Wohnhaus die Lücke zu dem bereits existierenden Wohnhaus an der Straßenecke zur Sophie-Charlotten-Straße zu schließen, ist nicht bekannt.

Wie ging es nun mit dem Grundstück an der Knobelsdorffstraße weiter? Auf dem nebenstehenden Foto, das 1929 vom Turm der Epiphanienkirche aufgenommen wurde, sind Kleingärten zu sehen. Es ist gut möglich, dass das Gelände zu diesem Zwecke zwangsverpachtet wurde. Gemäß § 5 der „Kleingarten und Kleinpachtlandordnung“ von 1919 konnte das Bezirkskleingartenamt Eigentümer von brachliegender Flächen zwingen, ihr Land für kleingärtnerische Nutzung zur Verfügung zu stellen. Das geschah zumindest 1924 für wenige Jahre mit dem Grundstück auf der Straßenseite gegenüber, bevor schließlich 1929 dort der Wohn- und Garagenkomplex errichtet wurde, über dessen Geschichte inzwischen eine ausführliche Dokumentation erschienen ist. (3)
Das Piéla’sche Grundstück befand sich bis 1930 im Besitz von sechs Erben; danach gehörte es der Berlinischen Boden-Gesellschaft Nach dem 2. Weltkrieg ist die heutige Bundesagentur für Arbeit als Eigentümer zu finden.
Das Grundstück an der Knobelsdorffstraße ist bis heute unbebaut geblieben. Die Fläche
wird von dem Automobilhändler genutzt. Schade eigentlich, dass so viel Fläche in der Stadt
dem wenig zukunftsorientierten Individualverkehr geopfert wird.
Bruno Piélas bauliches Erbe aber ist heute noch zu besichtigen: das denkmalgeschützte Mietshaus Bamberger Straße 52 in Schöneberg. Es wurde in den Jahren 1902/03 gebaut; Piéla gilt möglicherweise gar als Entwurfsverfasser. Das Gebäude fällt durch seinen Baudekor positiv auf. Heute steht es unter Denkmalschutz – ein Abstecher nach Schöneberg lohnt.
(1) Rechts daneben das ehemalige „Auto-Hotel„, 1929/30 als Teil einer Großgarage erbaut.
(2) Die folgenden Angaben stammen aus der Akte Rep. 207 Acc. 2528 Nr. 3827 des Landesarchivs Berlin
(3) Detlev Lubjahn: Der Wohnblock Knobelsdorffstraße 56a – 62 und die ehemalige „Großgarage am Kaiserdamm“. 2024, 68 Seiten, 10 €, erhältlich im Büro des Kiezbündnis Klausenerplatz, Seelingstraße 14.