Die Einwohner fragen schriftlich – das Bezirksamt antwortet nur noch mündlich (oder sonst gar nicht)?

Seit Jahr und Tag wurde es so gehandhabt: Die Bürger stellen ihre Einwohnerfragen schriftlich, das Bezirksamt antwortet, abhängig von der Anwesenheit der Fragenden, mündlich und/oder schriftlich.

Daher platzte die Kunde über den Brief des Bezirksbürgermeisters an die Vorsteherin der BVV wie eine Bombe ins politische Leben des Bezirks – allerdings eine mit einem extrem langen Zeitzünder, denn der Brief stammte vom 09. Januar 2020, die Öffentlichkeit erfuhr von seiner Existenz erst am 23. Januar 2020 im Rahmen des Ausschusses für Geschäftsordnung. Danach war der Öffentlichkeit aber der Anblick des Briefes auch weiterhin verwehrt: „Da die Sitzungen des Ältestenrats nicht öffentlich sind, ist Frau Hansen nicht bereit, den an sie gerichteten Brief der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen“, hieß es noch am 29. Januar 2020 in der Antwort des BVV-Büros an einen nachfragenden Bürger.

Der Brief des Bezirksamtes
Im Kern geht es in dem Schreiben darum, daß das aus Mitgliedern von SPD, Grünen und CDU bestehende Bezirksamtskollegium am 7. Januar 2020 beschlossen hat, ab jetzt Einwohnerfragen nur noch mündlich zu beantworten. Begründet wird das damit, daß die Einwohnerfragestunde der „unmittelbaren Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“ diene, wohingegen die schriftliche Beantwortung von Einwohnerfragen „die Bezirksverwaltung zusätzlich belastet“, denn es bestehe schon jetzt die Möglichkeit, „sich direkt an die Verwaltung und die Mitglieder des Bezirksamtes zu wenden“. Das Bezirksamt sieht auch die BVV als Nutznießer seiner neuen Linie, da seiner Meinung nach die Einwohnerfragestunde „Debatten in der BVV belebt“.

Erste Reaktionen aus den Parteien
Die Reaktion aller Fraktionen ist, wie der Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses, Felix Recke (FDP), in der Sitzung vom 23. Januar 2020 mitteilte, ablehnend. Man bedauere zwar einerseits, daß die Sitzungen der BVV nur gering besucht seinen, wolle aber bei der schriftlichen Beantwortung der Einwohnerfragen bleiben, auch im Hinblick auf die Tatsache, daß sie oft Zahlen und Tabellen enthalten. F. Recke hielt es für keinen hinreichend Ersatz, Bürger stattdessen auf direkte Anfragen bei den Mitgliedern des Bezirksamtes zu verweisen, da Antworten oft lange auf sich warten lassen oder gar nicht erfolgen.

Aus der Sicht der Bürger
Dies wurde von den Vertretern der Bürgerinitiativen, die am 31. Januar 2020 an einem bezirklichen Initiativengipfel teilnahmen, bestätigt. Weiterhin wurde betont, daß es noch nie in der Fragestunde Diskussionen gab, sondern lediglich die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen, und das war‘s dann. Und es wird berichtet, daß die Mitglieder des Bezirksamts ihre Antwort fast immer vorlesen, was bedeute, daß es bereits eine schriftliche Antwort gebe, die jetzt nur noch verschickt werden müsse. Auch wird in der Beantwortung in Schriftform eine zeitliche Entlastung der BVV gesehen.

Rechtliche Aspekte
Der Beschluß des Bezirksamtskollegium ist rechtlich brisant. Denn das Bezirksverwaltungsgesetz (BezVerwG) legt in den Sätzen 3 und 4 von § 43 fest: „Die Einwohnerfragestunde ist Bestandteil der öffentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.“ Aufgrund dieser Ermächtigungsgrundlage hat die BVV in ihrer Geschäftsordnung bestimmt: „Eine Einwohnerfrage wird mündlich beantwortet, sofern die Fragestellerin bzw. der Fragesteller in der öffentlichen Sitzung der BVV anwesend ist. Im Zuge der Einbringung kann sogleich ausschließlich eine schriftliche Beantwortung verlangt werden.“ (§ 47 Abs. IV) Der Beschluß – und erst recht seine Umsetzung – kann daher als erheblicher Eingriff in die Rechte des Bezirksparlaments verstanden werden – jedenfalls wenn man nach dem Kommentar von Peter Ottenberg geht, dem langjährigen Leiter des BVV-Büros. Dort heißt es zu § 43 BezVerwG: „Die BVV hat nach Satz 4 eine erhebliche Gestaltungskompetenz, indem eine geschäftsordnungsmäßige Konkretisierung [der Einwohnerfragestunde] vorgenommen wird.“

7 Kommentare zu „Die Einwohner fragen schriftlich – das Bezirksamt antwortet nur noch mündlich (oder sonst gar nicht)?“

  1. Auf der nächsten BVV Sitzung muß der Bürgemeister die Verantwortung übernehmen:
    Die Bürgerinitiativen fordern eine Antwort ein

    Brief des Bürgermeisters an den Ältestenrat betreffs Abschaffung des schriftlichen Fragerechtes der Bürgerschaft
    Es wird auf die “ohnehin jederzeit bestehende Möglichkeit, sich direkt an die Verwaltung oder die Mitglieder des Bezirksamtes zu wenden” verwiesen.

    1. Wie kann es dann sein, dass in der Regel vom BA gar nicht oder nach langem Zeitablauf geantwortet wird?
    2. Wie kann es sein, dass der Bürger u.a.statt einer Antwort auf die Möglichkeit der Einwohnerfrage verwiesen wird?
    3. Wie kann es sein, dass der Bürgermeister auf der Seite “Bürgerbeteiligung” verkündet: “Sie sollen mitreden und mitentscheiden können, was in Ihrem Bezirk geschieht” , stattdessen weder der verkündete Bürgerhaushalt zur Anwendung gekommen ist und statt Erweiterung der Einwohnerpartizipation jetzt sogar noch diese abgebaut wird?

    1. Schreiben der Bürgerinitiativen aus dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf

      An die Fraktionen in der
      Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf
      nachrichtlich:
      an die Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung

      Schreiben des Bezirksbürgermeisters zur Einwohnerfragestunde vom 9. Januar 2020 an die Vorsteherin der BVV

      Sehr geehrte Damen und Herren,

      mit oben bezeichnetem Schreiben übermittelt das Bezirksamt, dass es ab sofort Einwohnerfragen nicht mehr beantwortet, wenn der/die FragestellerIn nicht in der Fragestunde anwesend war.

      Die unterzeichnenden Bürgerinitiativen sehen hierin einen Eingriff in die Definitions- und Regelungshoheit der BVV. § 43 Satz 4 Bezirksverwaltungsgesetz Berlin räumt der BVV ausdrücklich das Recht ein, das Fragerecht der Bürger auszugestalten. Von diesem Recht hat die BVV Charlottenburg-Wilmersdorf mit § 47 ihrer Geschäftsordnung Gebrauch gemacht.

      Aus unserer Sicht bewegt sich die von der BVV getroffene Regelung auch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Der 6. Abschnitt des Bezirksverwaltungsgesetzes (§§ 40 bis 44) ist 2005 eingeführt worden, um die Mitwirkung der Einwohnerschaft an der Gestaltung des Gemeinwesens zu stärken (Motto: „Einwohnermitwirkung als tragendes Prinzip der bezirklichen Selbstverwaltung“). Dem Regelungsziel entspricht es, diese Mitwirkungsrechte so effizient wie möglich zu gestalten. Der gebotenen am Gesetzeszweck orientierten Auslegung widerspräche es also, die einzelnen Mitwirkungsrechte über eine restriktive Auslegung des Wortlauts zu begrenzen.

      Mit ihrer Ausgestaltung des § 47 GO-BVV bleibt die BVV Charlottenburg–Wilmersdorf innerhalb der gesetzlichen Vorgaben. Auch eine deutliche Erweiterung des Fragerechts würde sich noch in Einklang mit § 43 Bezirksverwaltungsgesetz bewegen:

      Eine effektive Mitwirkung der BürgerInnen ist nur möglich, wenn sie hinreichende Kenntnis über den zu gestaltenden Sachverhalt haben. Sinn der Einwohnerfrage ist es also, sie wenigstens auf den Tatsachenstand zu bringen, über den die Bezirksverwaltung verfügt. Hierbei ist eine schriftliche Antwort besser verwertbar als eine mündlich gegebene Information. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob der/die FragestellerIn in der BVV anwesend ist und ihm/ihr die Antwort mündlich präsentiert wird, da das BVV-Büro die Antwort in die Einwohnerfragen-Drucksache aufnimmt und sie so jeder/jedem interessierten BürgerIn zugänglich wird.

      Dies vorausgeschickt empfehlen wir dringend, das Bezirksamt aufzufordern, weiter die schriftliche Beantwortung von Einwohnerfragen als Verpflichtung zu betrachten.

      Sollte es dem nicht nachkommen, sollte das Schreiben des Bürgermeisters vom 9. Januar 2020 als Beanstandung des § 47 GO-BVV angesehen werden und die Angelegenheit der Bezirksaufsicht zur Entscheidung vorgelegt werden.

      Mit freundlichen Grüßen
      Wolfgang Mahnke
      für
      Bürgerinitiative Henriettenplatz
      Bürgerinitiative Schmargendorf braucht Oeynhausen e.V.
      Bürgerinitiative Stuttgarter Platz
      Bürgerinitiative Westkreuzpark
      Bürgerinitiative Wilmersdorfer Mitte e.V.
      Initiative StuttiBox
      Mieterinitiative Schlangenbader Straße
      Kiez Wilmersdorf
      Kiezbündnis Klausenerplatz e.V.
      Mieterbeiräte Paul-Hertz-Siedlung

      MieterWerkStadt Charlottenburg

  2. Kommentar wurde am 6. Februar 2020 um 20:50 editiert

    Der FDP Vorsitzende des GO und der Fraktion – einer z.Zt. schwer angeschlagenen Partei – lädt ein.Hoffentlich zeigt die FDP in der Ausschußleitung ihre ursprüngliche Liberalität. Die Sitzungen sind übrigens öffentlich.

    Umgang mit der Einwohnerfragestunde der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf und
    Einladung zur Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses am 31. März 2020

    An das
    Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf
    Herrn Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann
    Herrn stellv. Bezirksbürgermeister Arne Herz
    Herrn Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger
    Frau Bezirksstadträtin Heike Schmitt-Schmelz
    Herrn Bezirksstadtrat Detlef Wagner

    Nachrichtlich an die
    Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf
    Frau Annegret Hansen
    – im Hause –

    Sehr geehrte Mitglieder des Bezirksamtes,

    als Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf wurde ich in der 11. Öffentlichen Sitzung des Ausschusses am 23. Januar 2020 von den Mitgliedern beauftragt, Sie unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 9. Januar 2020 an Frau Vorsteherin der BVV Annegret Hansen zu uns in den Ausschuss einzuladen. Die Sitzung ist für den 31. März 2020, 17:30 Uhr im Minna-Cauer-Saal terminiert.
    Der Ausschuss sieht noch dringenden Beratungsbedarf bei dem Umgang mit der schriftlichen Beantwortung von Einwohnerfragen im Rahmen von BVV-Sitzungen. Der Beschluss des Bezirksamtes vom 7. Januar 2020, dass künftig nur noch bei einer BVV-Sitzung anwesende Einwohnerinnen und Einwohner eine Beantwortung der Anfragen an das Bezirksamt erhalten, widerspricht der Regelung des § 47 der Geschäftsordnung der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf. Insofern bitten wir höflichst um eine Klärung des Sachverhalts im Rahmen einer gemeinsamen Ausschusssitzung mit dem Bezirksamt. Bis dahin regen wir an, dass die bestehende Regelung unserer Geschäftsordnung umgesetzt wird und das Bezirksamt weiter schriftlich die Anfragen der Einwohnerinnen und Einwohner beantwortet.

    Über eine Terminbestätigung würde ich mich sehr freuen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Felix M. Recke
    Fraktionsvorsitzender
    Vorsitzender des Ausschusses für Geschäftsordnung

    Berlin, 4. Februar 2020
    Felix M. Recke
    Vorsitzender der FDP-Fraktion Charlottenburg-Wilmersdorf
    Vorsitzender des Ausschusses für Geschäftsordnung der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf
    email hidden; JavaScript is required
    http://www.fdp-fraktion-cw.de

  3. Einwohnerfrage

    Brief des Bürgermeisters an den Ältestenrat

    – Abschaffung des schriftl. Fragerechtes
       (zusätzliche schriftliche Beantwortung)

    Es wird auf die “ohnehin jederzeit bestehende Möglichkeit, sich direkt an die Verwaltung oder die Mitglieder des Bezirksamtes zu wenden” verwiesen.

    Wie kann es dann sein, dass in der Regel vom BA gar nicht oder nach langem Zeitablauf geantwortet wird?

    Wie kann es sein, dass der Bürger u.a. statt einer Antwort auf die Möglichkeit der Einwohnerfrage verwiesen wird?

    Wie kann es sein, dass der Bürgermeister auf der Seite “Bürgerbeteiligung” verkündet: “Sie sollen mitreden und mitentscheiden können, was in Ihrem Bezirk geschieht” , stattdessen weder der verkündete Bürgerhaushalt zur Anwendung gekommen ist und statt Erweiterung der Einwohnerpartizipation jetzt sogar noch diese abgebaut wird?

  4. Die Geschäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung gibt in Ausübung der Befugnisse aus § 43 Bezirksverwaltungsgesetz das Reglement für die Einwohnerfragen an das Bezirksamt vor. Nach § 47 Absätze 4 und 7 Geschäftsordnung der Bezrksverordnetenversammlung gehört dazu auch die Pflicht des Beztirksamts zur schriftlichen Beantwortung der Einwohnerfragen.

    Rechtlich ist es also mehr als bedenklich, wenn das Bezirksamt mitteilt, dieser Pflicht nicht mehr nachkommen zu wollen.

    Politisch werte ich das als Offenbarungseid. Alle schönen Wortblasen über bürgerliches Engagement und die Notwendigkeit der Bürgerbeteiligung sind nun zerplatzt.

    13. Februar 2020
    Wolfgang Mahnke, 14193 Berlin

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