Kinder und Jugendliche brauchen Bibliotheken

Ich war schon immer eine Leseratte. Alles Gedruckte zog mich magisch an.

Erinnerungen an Wilmersdorfer Bibliotheken und Buchläden

Bücher waren und sind teuer. Zum Glück gab es Hilfe in Gestalt von öffentlichen Bibliotheken. Eine wunderschöne wurde ganz in unserer Nähe eröffnet, genau zur richtigen Zeit, denn sie war exklusiv für Kinder. Sie war in einem der Pavillons untergebracht, der zur neu gebauten ‚Grundschule am Rüdesheimer Platz’ (1956) gehörte. Ich war begeistert, vor allem weil diese Bibliothek allen Kindern zugänglich war, nicht nur den Grundschülern dieser Schule, denn 1956 wurde ich aufs Gymnasium geschickt. Mehr davon weiter unten.

Die Bibliothek hatte nur niedrige Regale. Es war ganz hell innen, und alles roch neu und nach neuen Büchern. Es gab ‚Vorlesestunden’ für die ganz Kleinen, und an den Wänden waren Bilder, welche die jüngsten Kinder gemalt hatten.
Man durfte nur zwei Bücher pro Woche ausleihen – das war hart für mich, denn ich war schon immer ein ‚Schnell-Leser’. Aber es war besser als gar nichts.
Natürlich waren da Bibliothekarinnen – ja, es waren alles Frauen, ganz ohne ‚gendering’ – und die kontrollierten, was man so auslieh. An eines dieser Bücher – es waren in Wirklichkeit drei Bände – kann ich mich noch genau erinnern: „Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott”. Darin ‚reiste’ die Protagonistin mit einem Freund in die Vergangenheit der Mark Brandenburg. Ach, ich würde es so gerne noch einmal lesen …
Die Bücher waren kinder- und jugendgemäß für die Altersgruppe von 6 bis 14 Jahre. Immer wieder wurde ich gefragt, ob ich das gewählte Buch denn auch lesen und verstehen könnte. Das fand ich unangenehm, denn ich hatte ja schließlich schon ‚erwachsene Bücher’ aus dem Schrank der Eltern gelesen.

Schließlich wurde ich – in meinen Augen – zu ‚alt’ dafür, aber zum Glück war gerade eine neue Stadtbibliothek eröffnet worden – gleich hinter der Schule, in die ich ging: das Goethe-Gymnasium in der Gasteiner Straße.
Dieser Neubau war genau hinter der Feuerwehrstation, die an das Gymnasium angrenzte. Auch hier waren die Bibliothekarinnen (ich habe nie einen männlichen Bibliothekar gesehen) besorgt um mich und versuchten zu verhindern, daß ich etwa ‚nicht jugendfreie’ Bücher ausborgte.
Ich erinnere mich vergnügt an ein Gespräch mit einer Bibliothekarin, die mir Emile Zolas „Nana‟ nicht ausborgen wollte: es war ja schließlich etwas ‚unanständig’. Ich sagte ihr, daß ich das Buch für den Unterricht brauchte – im Gymnasium um die Ecke. Schwupps hatte ich das Buch.

Und dann gab es die Buchläden, die mich ebenfalls magisch anzogen, als ich, etwas älter, Taschengeld hatte. In der Aßmannshauser Straße gab es das Albrecht-Dürer-Haus. Eine wahre Schatzkammer, in der man nicht viele Bücher fand, aber Kunstgewerbe und vor allem eine gewaltige Auswahl an Kunstpostkarten: die waren immer gut als Geschenk.
Ich kann mich noch an den ganz eigenen Geruch von Papier und Staub erinnern. Weil meine Eltern die Besitzerin kannten – eine alte Dame, uralt in den Augen von uns Kindern – mußten wir sie jedesmal mit Knicks begrüßen: so waren damals die Zeiten!

Meine Großmutter und daher meine Eltern kannten noch einen anderen Buchhändler, der in den frühen 60er Jahren seine kleine Buchhandlung am oberen Ende der Uhlandstraße eröffnete, die Buchhandlung Ernst Patting. Der Laden war winzig, aber ganz modern, mit einer kleinen Galerie in einer Art Zwischengeschoß.
Ich liebte diese Buchhandlung und den Besitzer, denn er ließ mich oben in der Galerie Bücher lesen, während er sich unten mit meinem Vater unterhielt. Später half er mir, neue Bücher aus Großbritannien zu besorgen.

Am wichtigsten jedoch war für mich der kleine Buchladen direkt neben dem Goethe-Gymnasium in der Uhlandstraße. Die hatten immer die neuesten Taschenbücher – und mein Taschengeld landete meistens dort, nach Schulschluß auf dem Weg nach Hause. Dort erwarb ich eines der wichtigsten Bücher, welches ich immer noch für essentiell halte: die Taschenbuchausgabe von Viktor Klemperers „Lingua Tertii Imperii”. Das war bestimmend für mein Verständnis für Geschichte, besonders Neuere Geschichte, und für die Analyse der Manipulationen durch ‚offizielle’ Sprache. Und – es gab Tucholsky, den ich auf diesem Wege – Taschenbücher! – kennenlernte. Schließlich war er es, der den Verlegern zurief: „Macht unsere Bücher billiger!”

Und dann, etwas älter geworden, fand ich mich ein im Laden von Marga Schoeller. Da konnte man, oh Wunder, englische und französische Taschenbücher finden …! Da gab es für mich kein Zurück … Eines der Taschenbücher hat inzwischen viele Umzüge überlebt: „Dune” von Frank Herbert (Der Wüstenplanet). Es war so schön dick: das Verhältnis ‚Kosten – Umfang’ stimmte. Wenn ich mehr Seiten fürs gleiche Geld bekommen konnte, dann gab es kein Zurück.

Leider und traurigerweise ist das Lesen von Büchern schon lange verpönt, gerade unter Jugendlichen. Deswegen frage ich mich, ob diese Bibliotheken und diese kleinen Buchläden nicht auch, genau wie die Bücher, nur noch in Erinnerungen weiterleben.


Mehr zu Bibliotheken: siehe hier.

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