Kaiser Wilhelm lebt II: Nassauische Straße

Rings um den Dorfkern von Wilmersdorf, die Wilhelmsaue, gibt es eine Reihe von Straßen, die ihren Namen zu Ehren des „Heldenkaisers“ Wilhelm I. (1797-1888) erhalten haben. Das fängt schon mit der Wilhelmsaue selbst an, der Dorfstraße, die um 1874 patriotischerweise zur Wilhelmstraße wurde und dann 1888, wenige Tage nach des Kaisers Tod, zur poetisch anmutenden Wilhelmsaue. Andere Straßennamen erinnern an seine Taten aus der Zeit von 1814 bis 1870: siehe dazu Teil I.

                Nassauische Straße

Die Nassauische Straße in Wilmersdorf entstand in ihrer heutigen Form aufgrund zweier Umstände: Zum einen befand sich hier schon im 18. Jahrhundert ein Weg, der zum nördlich von Wilmersdorf gelegenen sumpfigen Hopfenbruch führte. Eine Karte von 1842 (Abb. 3) zeigt, daß der Weg zu der Zeit bereits durch den Hopfenbruch bis zum Kurfürstendamm weitergeführt ist.
Der zweite Umstand war die Idee einer Villen- oder Landhauskolonie, die der Unternehmer und private Stadtentwickler Johann Anton Wilhelm von Carstenn-Licherfelde (1822-1896)* auch auf dem ehemaligen Rittergut Wilmersdorf umsetzen wollte, um an der steigenden Nachfrage bürgerlicher Kreise nach besseren Wohnbedingungen zu verdienen. Das Rittergut bestand aus zwei Teilen, beide östlich vom Dorf Wilmersdorf gelegen: der nördliche Teil zwischen Lietzenburger und Güntzelstraße, der südliche zwischen Volkspark und Walter-Schreiber-Platz.

Die Bebauung der Straße von 1870 bis nach dem Ersten Weltkrieg
Carstenn kaufte 1870 das Gut und ließ die Bundesallee (damals Kaiserallee) sowie die beiderseits von ihr gelegenen und als Wilmersdorfer bzw. Friedenauer Carstenn-Figur bekannten symmetrischen Systeme von Straßen und Plätzen anlegen. Die daran angrenzenden Gebiete, darunter die Nassauische Straße, waren mit einbezogen in die Planung. Im sog. „Gründerkrach“ von 1873 ging Carstenn jedoch bankrott, und die Schaffung der Landhauskolonie („Wohnen im Grünen“) fand infolgedessen so gut wie nicht statt. Die Straßen im Wilmersdorfer Teil führten jahrzehntelang nahezu unbebaut durch Wiesen, Felder und Hopfenbruch.
Ende 1886 bildete sich ein Verein, der für die Erschließung des Areals und einen besseren Verkehrsanschluß an Berlin sorgte sowie einen Bebauungsplan für die gesamte Gemarkung von Wilmersdorf entwickelte. Ein Stadtplan von 1897 zeigt den Stand der Entwicklung: noch fast keine Gebäude, aber immerhin durchfährt bereits eine Pferdestraßenbahn die Nassauische Straße.
Die Entwicklung des Gebietes durch den Verein heizte jedoch die Grundstücksspekulation an, so daß aufgrund der hohen Bodenpreise weiterer Villenbau gar nicht mehr infrage kam; nur Mietshäuser waren noch rentabel. Das bedeutete in dieser (zweiten) Bebauungsphase ab 1895: 5geschossige Gebäude mit 8- bis 12-Zimmer-Wohnungen für ein bürgerliches Publikum (und Hinterhöfe). Am Ende des Ersten Weltkrieges hatten sich jedoch die Ansprüche an Wohnraum und die Vorstellungen von Wohnhausbau gewandelt, so daß eine dritte Bebauungsphase zu erkennen ist. Sie war gekennzeichnet durch Großwohnanlagen (ohne Hinterhöfe) mit Kleinwohnungen. In diese Phase fällt der Bau Nummer 41-44. Doch zuvor noch der Straßenname.

Der Straßenname
Vor 1870, als Carstenn das Rittergut kaufte, hieß die Straße entsprechend den Gegebenheiten schlicht Buschweg. Ab dann trug sie einen richtigen Namen: zunächst Braunschweiger Straße, ab 1876 Wilmersdorfer Straße. Zum 20jährigen Annexionsjubiläum im Jahr 1886 wurde sie schließlich nach dem ehemaligen Herzogtum Nassau Nassauische Straße benannt. Dieses Herzogtum (Lage: Taunus und Westerwald, Hauptstadt: Wiesbaden) bestand 60 Jahre lang, von 1806 – es war nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches auf Napoleons Verlangen gebildet worden – bis 1866, als Nassau im Preußisch-österreichischen Krieg auf der Verliererseite stand und deshalb von Preußen zu einem Bestandteil seiner Provinz Hessen-Nassau gemacht wurde.

Haus 41-44
Der Bauantrag für das denkmalgeschützte Wohnhaus mit Garagengebäude wurde am 4.5.1929 genehmigt. Der Architekt war Peter Jürgensen; von ihm stammt auch das Rathaus Schöneberg (1911-14). Das gesamte Projekt umfaßte ein Vorderhaus mit Mietwohnungen, die Garagenanlage für ursprünglich 170 Wagen und eine Tankstelle. Fertiggestellt wurde die Großgarage** bis spätestens Juni 1930.
Die verputze Fassade des langgestreckten 5geschossigen Wohnbaus ist relativ unauffällig. Was ihn jedoch augenfällig von anderen Wohnhäusern unterscheidet, sind die zwei hohen Tordurchfahrten in jedem der beiden seitlichen Bauteile. Diese Einfahrten führen jeweils zu den Parkebenen in Keller und Hochparterre. Auf der unteren Ebene liegen die Garagen an zwei Gassen, auf der oberen an einer.

Der Blick von rückwärts zeigt, daß die Garagenanlage eine erheblich größere Fläche als das Wohngebäude einnimmt und selbst ihr Untergeschoß deutlich aus dem Boden herausragt.
Um 1930 wurden in Berlin ca. 400 Garagen betrieben, darunter auch mehrere vergleichbare Anlagen. Oft hatten solche Großgaragen jedoch nur ein Kellergeschoß und nicht wie hier ein zusätzliches Hochparterre. Heutzutage gibt es im Bezirk an vergleichbaren Wohn-Park-Bauten nur noch die ebenfalls zum Ende der 1920er Jahre gebauten Schramm-Garagen.

Dies ist die gekürzte Version des ursprünglichen Beitrags im Kiezer Weblog. Dort finden sich weitere Karten und Abbildungen sowie Materialhinweise.
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* 1865 hatte er bereits die Villenkolonie Lichterfelde-West gegründet, die bis heute weitgehend erhalten ist.
** Von Großgarage spricht man bei mehr als 25 Stellplätzen. – Jetzt stehen (noch) 128 Garagen-/Stellplätze zur Verfügung. Dies erklärt sich so: „Es gab ein paar Kriegsschäden mit entsprechenden Veränderungen. So wurden 1950 z. B. mehrere Boxen zu einem ,Waschraum’ umgebaut. Ein Teil der Gesamtanlage wird heute auch anders genutzt als in den 1920er-Jahren. Damals war es üblich, mehrere Fahrzeuge in einer gemeinsamen Box einzustellen (Sammelbox), heute sind das Einzelgaragen oder Räume mit anderer Nutzung (Abstellräume etc.).“ (Mitteilung René Hartmann)

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