Schon immer haben Bürger auf die Tätigkeit ‚ihrer‘ Verwaltung Einfluß zu nehmen versucht – um sie von einem Vorhaben abzuhalten oder zu einem Vorhaben zu veranlassen. Davon zeugen die vielen Bürgerinitiativen, von denen auf der Seite des Bezirksamtes 44 dort namentlich bekannte genannt werden.
Nach dem Gesetz
Das Bezirksverwaltungsgesetz (BezVerwG) regelt in den §§ 40-47 die „Mitwirkung der Einwohnerschaft“ und erklärt sie zu einem „Prinzip der Selbstverwaltung der Bezirke“ (§ 40). Vor zehn Jahren, zu Beginn seiner Amtszeit, brachte Bezirksbürgermeister R. Naumann (SPD) dieses demokratische Prinzip so auf den Punkt:
Liebe Bürgerinnen und Bürger, in Charlottenburg-Wilmersdorf wird Bürgerbeteiligung groß geschrieben. Sie sollen mit reden und mit entscheiden können, was in Ihrem Bezirk geschieht. … Mischen Sie sich ein! Ich freue mich darauf. Ihr Bezirksbürgermeister
Damit die Bürger das können, müssen sie frühzeitig über die Pläne der Verwaltung Bescheid wissen. Daher bestimmt § 41 im Kern, daß Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und Bezirksamt „verpflichtet“ sind, die Einwohner bei wichtigen Vorhaben „rechtzeitig“ zu unterrichten und ihnen „Gelegenheit zur Äußerung“ zu geben.
Der Bezirk Mitte hat diese gesetzliche Pflicht mit einer Vorhabenliste umgesetzt, damit die Bürger umfassend und „frühzeitig über Planungen von Politik und Verwaltung im Bezirk Kenntnis und grundlegende Informationen erhalten“. Außerdem wurde ein Büro für Bürgerbeteiligung eingerichtet „als Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen rund um das Thema Bürgerbeteiligung“.
Und unser Bezirk?
In der Praxis
In unserem Bezirk hatte die in BVV und Rathaus tonangebende und von der Linkspartei unterstützte Zählgemeinschaft aus SPD und Grüner Partei am 14.11.2016 vereinbart: „Die Kultur der Bürgerbeteiligung wollen wir weiter entwickeln und stärken.“ (S. 2) und „Als erster Schritt soll … eine ‚Vorhabenliste‘ … aufgebaut werden.“ (S. 8) Dieser „erste Schritt“ wurde bis heute nicht getan. Das sieht Naumann nicht als Mangel. Auf Anfrage teilte er am 5.7. mit:
Die Unterrichtung der Einwohnerschaft erfolgt über alle geeigneten Informationskanäle, sei es durch die eigene verwaltungsmäßige Infrastruktur (u.a. Aushänge, Informationsblätter) als auch durch die Nutzung anderer Medien (u.a. lokale Medien, soziale Netzwerke).
Wie sieht diese Unterrichtung der Einwohnerschaft dort aus, wo sie – ganz unabhängig von Ort, Zeit oder Netzwerkzugehörigkeit und für jedermann erreichbar – stattfinden könnte, nämlich auf der Seite des Bezirksamtes? Dort ist unter „Bürgerbeteiligung“ ein einziges aktuelles Projekt aufgeführt. Auf der bezirksfernen Plattform „mein.Berlin.de“ gibt es sechs Suchergebnisse (Stand 9.7.2021). Eine umfassende und frühzeitige Aufstellung, die einer ‚Vorhabenliste‘ ähnelt – den „ersten Schritt“ zur Bürgerbeteiligung – gibt es also nicht.*
… am Beispiel Preußenpark
Sind die von Naumann genannten Wege der Information dennoch geeignet, die Bürger in die Lage zu versetzen, daß sie „mit reden und mit entscheiden können“? Dies sei überprüft an einem der sechs Vorhaben in „mein.Berlin.de“, nämlich der „Neugestaltung des Preußenparks“. Ausführlich wird dort über zwei Phasen der Bürgerbeteiligung berichtet; zum „Townhall-Meeting“ vom 24.6.2021 liegt ein Video** vor. Offensichtlich wurde und wird dort in vielen Formaten viel geredet. Das könnte das Kriterium „mit reden“ erfüllen. Und wie steht es mit dem „mit entscheiden“? Dazu heißt es auf S. 7 der „Dokumentation der Online-Fach-Gespräche Datum 21.05.2021“, verfaßt vom beauftragten Unternehmen (und der Link dahin im Febr. 2024 gelöscht):
Grundsätzlich wurde der Erhalt des Markts und die Beschränkung (zeitlich / räumlich) befürwortet, allerdings wurde von einigen Teilnehmenden die Lage (in einer Grünanlage, auf einer Teilfläche des Rondells) kritisiert und die Prüfung einer Verlegung auf Flächen außerhalb des Parks angeregt (z.B. Parkplatz, auf der Straße). Die Entscheidung über die Integration des Markts in die Neugestaltung des Parks wurde jedoch bereits 2018 mit Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung abgestimmt und ist somit zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verhandelbar.
Folglich ist „mit entscheiden“ auf denjenigen Gestaltungsbereich beschränkt, den die BVV mehrheitlich (SPD, Grüne und Linkspartei) am 30.8.2018 (Drucksache 0813/5) durch Beschluß vorgegeben hatte: „Thaiwiese mit Zukunft – ein gemeinsames Konzept für den Preußenpark“. Ausgeschlossen sind Bedenken von Kritikern, darunter die Initiative Preußenpark, die die Versiegelung von Teilen des Parks durch Verkaufsfläche und Neubau eines Betriebsgebäudes und die zunehmende Unterversorgung der Anwohner mit ortsnahem Grün betreffen sowie den Vorschlag zur Verlegung des Marktes auf eine bereits versiegelte Fläche. Für diese Vorstellung vom Preußenpark ist „mit bestimmen“ ausgeschlossen.
Aus juristischer Sicht wäre im übrigen prüfenswert, ob der BVV-Beschluß gegen § 41 BezVerwG verstieß, wonach den Bürgern „Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden (soll)“: In der BVV-Sitzung vom 30.8.2018 hatten Bürger kein Rederecht; in der Sitzung des Ausschusses für Bürgerdienste usw. vom 26.6.2018, in die der Beschlußantrag eingebracht und abschließend beraten wurde, zwar mit Zustimmung der Ausschußmitglieder, aber es wäre wohl nicht angemessen, dies als „Gelegenheit zur Äußerung“ im Sinne des Gesetzes auszulegen.
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* Über viereinhalb Jahre nach der Absichtserklärung vom November 2016 verweist Naumann darauf, daß sich „aktuell ein Büro für Bürgerbeteiligung im Aufbau befindet“; und Stadtrat A. Herz (CDU) teilt in seiner Antwort auf Einwohnerfrage 11 vom Mai 2021 mit, zu dem vom Büro zu erarbeitenden „Konzept zur Öffentlichkeitsarbeit … könnte auch die Veröffentlichung von Vorhabenlisten zählen“. [zurück]
** Beachtet sei der Umgang der Verwaltung, vertreten durch Bürgermeister Naumann, mit einer Anwohnerin, die seiner Aufforderung „Mischen Sie sich ein!“ folgt: Sequenz von 1:59:03 bis 2:03:50. [zurück]
Sehr gut recherchiert. Mittlerweile hat sich das ja so eingebürgert, Beschlüsse zu fassen und hinterher die Bürger zu bitten, ihre Meinung kund zu tun, obwohl schon alles entschieden ist.
Vielen Dank, lieber Herr Roeder, vielen Dank Berliner Woche! Es ist ein ausgezeichneter Bericht, dem ich möglichst viele Leser wünsche.
Die BVV hat den Beschluss zur Umgestaltung und Kommerzialisierung des Preußenparks OHNE VORHERIGE BÜRGERBETEILIGUNG eigenmächtig gefasst. “Dazu sind wir als Volksvertreter legitimiert” sagen die Bezirksverordneten. Das ist hier die Frage! Wie weit gehen die Befugnisse der BVV, die ja immer nur für eine Legislatur gewählt ist. Der Park, ein über 100 Jahre alter Volks- und Naturpark, soll nun zu einer kommerziellen Marktfläche umgebaut werden, obwohl im Umfeld genügend alternative und bereits versiegelte Flächen zur Verfügung stehen. Diese Entscheidung ist nicht nur von vorgestern (Klimawandel, Versiegelung), sondern sie beschneidet die für die Anwohner lebenswichtigen Grünfläche. Wurden die Volksvertreter denn dafür gewählt, um auch noch eine der wenigen innerstädtischen Nah-Erholungsflächen der Kommerzialisierung, der “Eventisierung”, und dem Tourismus zu opfern? Die bereits jetzt sichtbare Tendenz zu Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie Glücksspiel im Park wird mit der Legalisierung des kommerziellen Marktes weiter verstetigt.
Ich bin der Meinung, dass die BVV für eine so weit reichende Entscheidung NICHT gewählt wurde. Ich kann dem Gedanken von Herrn Roeder hinsichtlich einer juristischen Überprüfung (Verstoß gegen § 41 BezVerwG) nur beipflichten.
Die NACHTRÄGLICH, also NACH der BVV-Beschlussfassung im Jahr Jahr 2018, eingeleitete Bürgerbeteiligung unter der Regie des privaten Nexus-Instituts als Auftragnehmer will ich hier gar nicht weiter kommentieren. Es ist hinlänglich bekannt, dass diese sogenannte “Beteiligung” den Namen nicht verdient hat und lediglich der Rechtfertigung des Bezirksamtes der Öffentlichkeit gegenüber dient. Eine Mitsprache der Bürger war von Anfang an nicht vorgesehen und wurde durch eine Vielzahl von Maßnahmen nachweislich unterbunden. Diese Strategie als Bürgerbeteiligung zu verkaufen, gehört in die Kategorie Fake-News.
Bürgerschaft ohne Einfluß
Die Wasserkatastrophe dieser Tage verdeutlicht erneut die Notwendigkeit zu entsiegeln statt zu versiegeln .
Ob es Radwege sind, der Wohnungsbau auf Kleingartengelände oder hier am Preußenpark, die Politik scheint nichts verstanden zu haben oder verstehen zu wollen.
Unser baldige ExBürgermeister meint im Nexus Beteiligungsportal, die berechtigten Einwände einer Bürgerin mit einem Verweis auf eine angebliche Ausländerfeindlichgkeit wegwischen zu können. Er wollte oder konnte nicht begreifen, dass die Einwohnerschaft nicht gegen den Thaimarkt votiert,sondern sogar – pro aber nicht auf dieser Fläche. Warum nicht auf dem vorgelagerten Parkplatz? Und dieser nutzlose Verweis auf antidemokratische Parteien und deren Agieren und die Einwender mit ihnen in Zusammenhang zu bringen, ist unerträglich.
Natürlich leben wir in einer repräsentativen Demokratie – welche neue Erkenntnis. Dann sollte man auch nicht auf die Möglichkeiten der Einflußnahme der Bürgerinnen und Bürger verweisen – wenn man dasselbige gar nicht will und selbiges auf Plattformen und in Diskussionsrunden leerlaufen läßt.