Wiederentdeckung einer bedeutenden Künstlerin

Die Wilmersdorfer Malerin Thea Schleusner (1879-1964) gehört zur sogenannten „Verschollenen Generation“. Damit gemeint sind Künstler, die insbesondere zwischen den beiden Weltkriegen eine gewisse Bedeutung hatten, aber nach 1945 mit der aufkommenden Abstrakten keine Resonanz mehr erfuhren. Um sie aus ihrem Schattendasein zu holen, hat die im letzten Jahr gegründete Naser-Stiftung der (wieder)entdeckten Kunst Thea Schleusners 60. Todesjahr als Anlaß genommen, um in ihrer Geburtsstadt Wittenberg in Kooperation mit der Stadt, der Cranach Stiftung und der Stiftung Christliche Kunst eine umfangreiche Ausstellung auszurichten.

Thea Schleusner wohnte spätestens seit dem Ersten Weltkrieg dauerhaft in Wilmersdorf, und zwar in der Güntzelstraße, in der Wittelsbacherstraße und in der Straße Dachsberg. Die Ausstellung findet jedoch in Wittenberg statt, weil Thea Schleusner 1879 hier geboren wurde. Sie wuchs als Pfarrerstochter gleich neben der Stadtkirche auf. Mit neunzehn faßte sie im Jahr 1898 den Entschluß, Künstlerin zu werden, und ging nach Berlin, um dort ihre Ausbildung zu beginnen. Ihre nächste Station war Paris, wo sie Auguste Rodin, André Gide und Rainer Maria Rilke kennenlernte. Es folgten Studienreisen nach Italien, die sie dazu nutzte, um in Florenz und Rom die Gemälde alter Meister zu kopieren. Von Anfang an spielte Porträtieren in ihrer Arbeit eine wichtige Rolle. Zu denjenigen, die ihr im Laufe der Jahre Porträt saßen, gehörten neben anderen Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft wiederholt Albert Einstein, Emil und Ada Nolde, Kafkas Verlobte Felice Bauer, der Komponist Ferruccio Busoni und die Ausdruckstänzerin Mary Wigman. Thea Schleusner dürfte zwischen den Weltkriegen im deutschen Raum die bedeutendste Porträtistin gewesen sein.

Neben der Malerei illustrierte sie Bücher, unter anderem mit Texten von Oskar Wilde, der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff und Richard Strauss, wandte sich der Glasmalerei zu und war seit 1920 auch schriftstellerisch tätig, indem sie Berichte über ihre Reisen nach Schweden, Sizilien und Sardinien verfaßte. Der Schwerpunkt lag jedoch auf ihrem malerischen Werk. Stilistisch stand sie in ihren früheren Jahren dem Impressionismus nahe. Das änderte sich im Laufe des Ersten Weltkriegs, als bei ihrer Beschäftigung mit dessen Schrecken zunehmend christliche Themen an Bedeutung gewannen und dabei ihr Malstil immer farbiger und expressiver wurde. Sie blieb ihrem einmal gefundenen Stil treu und ordnete sich dem wechselnden Zeitgeist nicht unter.

„Bleibend Wertvolles wollte sie schaffen, wenn nicht für die Welt jetzt, dann für die Zukunft.“ (Rainer Naser, Thea Schleusner – Ihr Leben, Denken und Schaffen, im Begleitband zur Ausstellung). So lässt sich auch erklären, daß sie von 1945 bis zu ihrem Tod im Jahr 1964 noch einmal daranging, ihr Werk, soweit es in den letzten Kriegstagen durch Brandbomben in ihrer Wilmersdorfer Wohnung vernichtet worden war, neu entstehen zu lassen. Welch Herausforderung dieses „Leben für die Kunst“ (so der Titel der Ausstellung) für sie bedeutet haben muss, lässt sich daran erkennen, dass ihre Urne im Gartenhof des Kolumbariums auf dem Wilmersdorfer Friedhof die Inschrift „Überstanden“ trägt.

Die Webseite der Naser-Stiftung beschreibt als Ziel der Ausstellung, „in einer erstmaligen Werkschau die vielfältigen Facetten der Künstlerin darzustellen sowie ihre Bedeutung zu würdigen, um somit zu einer Wiederentdeckung beizutragen“. Die Ausstellung umfasst über 300 Werke, dauert vom 31. August bis 12. Januar 2025 und findet an vier Standorten in Wittenbergs Stadtzentrum statt: Altes Rathaus, Cranach-Stiftung, Zeughaus in den Städtischen Sammlungen und Stiftung Christliche Kunst.

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