Als Ende 2019 in der Öffentlichkeit bekannt wurde, daß es für das Haus Wilhelmsaue 17 einen Bauvorbescheid gibt, erhob sich sogleich großer Protest. Noch kurz vor Weihnachten unterstützten über 100 Anwohner einen Aufruf zum Erhalt dieses ältesten Hauses an der ehemaligen Dorfaue. Dies war dringend nötig, denn der Bauvorbescheid des Bezirksamtes vom Dezember 2018 hatte dem Eigentümer signalisiert, daß er drangehen könne, den Abriß des Gebäudes und einen Neubau in voller Breite des Grundstücks und mit sechs Geschossen zu planen.
Weshalb gab es so viel Protest dagegen, daß ein kleines und fast anderthalb Jahrhunderte altes Haus verschwinden sollte? Reinhard Brüggemann, Architekt und Mitglied des bezirklichen Denkmalbeirats, erklärt das so: „Es war so eindeutig. Dieses Haus ist ein Zeuge der Ortsgeschichte aus der Zeit des Übergangs, als Wilmersdorf vom Dorf zur Stadt wurde. Es ist eines der ganz wenigen erhaltenen Gebäude, die noch auf das einstige Dorf hinweisen, dessen Verstädterung schon begonnen hatte.“ Dank dem Landesdenkmalamt wurde im Januar 2020 das um 1880 entstandene Gebäude samt dem Torbogen gerettet.
Gut wäre es, wenn das Bezirksamt dies zum Anlaß nähme, um von jetzt an vor der Erteilung von Bauvorbescheiden sich die jeweiligen Gebäude erst einmal anzuschauen, möglichst in Rücksprache mit dem Denkmalbeirat.
Warum überhaupt alte Gebäude erhalten?
Reinhard Brüggemann meint dazu: „Es bedarf des genauen Hinschauens und des Nachdenkens, so daß man Besonderheiten findet, die man erhalten möchte als Teile der historischen Überlieferung und als kulturelle Zeitzeugen. Um zu vermitteln, wie es einmal war. Und um architektonische Vielfalt zu bewahren. Die Untere Denkmalbehörde im Bezirk ist mit nun drei Mitarbeiterinnen immer noch völlig unterbesetzt. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nehmen wir mal die beabsichtigte bauliche Verdichtung auf Kosten der Tennisplätze, die Teil des denkmalgeschützten Komplexes von Schaubühne und dahinterliegender Bebauung sind (WOGA-Komplex): Es gab auf Verwaltungsebene zunächst keinerlei Diskussion – Bauboom! Das internationale Großkapital sucht nach Anlagemöglichkeiten in Form von Luxusbauten und ballert uns die Freiräume zu. Was nötig ist, ist, sich dort und anderswo konkret den Bestand anzuschauen und über seinen Erhalt zu diskutieren. Eigentlich sollte man Wohnhäuser gar nicht unter Denkmalschutz stellen müssen, wenn sie dastehen und ihren Zweck völlig erfüllen. Aber selbst wenn sie geschützt sind, kommt es immer wieder vor, daß jemand sie verändert oder abreißt, nur um einen hohen Preis zu erzielen.“
Der Experte
Reinhard Brüggemann studierte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre an der TU Architektur. Damals ging es vor allem um Neubau. Man sprach später von der ‚Unwirtlichkeit der Städte’, die dabei entstanden. Inbegriff davon waren Trabantenstädten wie die Gropiusstadt, die dazu diente, Neukölln freizumachen für Sanierung, was in den 1970er Jahren meist Abriß und Neubau bedeutete. Ganz anders dann, als er anfangs der 1980er Jahre an der Sanierung des Gebietes südlich vom Kottbusser Tor beteiligt war. Hier gab es gegen das Rezept ‚Bewohner vertreiben, alles abreißen‘ lebhaften Widerstand. So geriet er in die „Szene der Stadterneuerung“, der es um den Erhalt von Altbauten ging, und sein Interesse am Denkmalschutz begann. Zum Tragen kam dies bei einer Vielzahl weiterer Projekte: beim Sanierungsgebiet Schulheiß-Brauerei in Moabit oder während seiner Tätigkeit in der Bauplanung der FU bis 1992. Völlig in die „Denkmalsfalle“ geriet Reinhard Brüggemann 2016, als es ihm mit darum ging, die Bebauung der denkmalgeschützten Tennisplätze im WOGA-Komplex hinter der Schaubühne zu verhindern. Damals wurde er auch einer der Experten des Denkmalbeirats.
Neue Aufgaben für den Denkmalschutz heute
In dieser ehrenamtlichen Tätigkeit erlebt er hautnah, wie stark der Bezirk unter dem Druck des Baubooms der internationalen Investoren steht. „Überall werden Lücken gesucht oder durch Abrisse hergestellt; werden Freiräume und grüne Oasen mit Goldkettchen-Architekturen zugeballert, entstehen ‚atemberaubende‘ neue Hinterhöfe. Die Stadt gehört nicht mehr den Alteingesessenen, diese werden durch Gentrifizierung verscheucht. Der Denkmalschutz muss heute neu gedacht und angewendet werden. Es gehe nicht mehr nur um anerkannt bedeutende Gebäude wie Kirchen, Schlösser usw., sondern immer mehr bedürfen Wohnbauten, Freianlagen, Alltags-Architekturen, stadträumliche Ensembles unserer schützenden Aufmerksamkeit“, ist sein Fazit aus der Arbeit im Denkmalbeirat.
Das Landhausquartier in Wilmersdorf
Zu den jüngsten Aktivitäten des Denkmalbeirats gehört die Beschäftigung mit dem ‚Landhausquartier‘, einem L-förmigen Gebiet, das nördlich vom U-Bf. Konstanzer Straße beginnt und an der Russischen Kirche zur Mannheimer Straße abbiegt. Das einst einheitliche Viertel entstand Mitte der 1920er Jahre und ist nach dem Krieg besonders im nördlichen Teil verändert und überbaut worden, z.B. mit dem riesigen Parkhaus der Rentenanstalt an der Konstanzer Straße. „Solch ein Viertel gibt es nur in Wilmersdorf. Der Bebauungsplan von 2000 nennt es ‚städtebaulich und siedlungsgeschichtlich einen der bemerkenswertesten Teile des Bezirks Wilmersdorf‘. Es ist Teil der im 19. Jahrhundert in England entstandenen Gartenstadtbewegung, die eine bürgerliche Gegenbewegung zur Industrialisierung mit ihren Mietskasernen war. Mit dem Landhausquartier schuf Wilmersdorf ein Viertel für gehobenes Wohnen, im Gegensatz zum Grunewald als Edelstandort. Diese Häuser haben eine Haltung, die man ‚tumb‘ oder ‚fest gemauert‘ nennen kann. Es war die konservative Antwort auf den Bau großer Siedlungen unter Einsatz von Farbe, viel Glas und Metall.“
Der Denkmalbeirat befaßte sich mit den Häusern Berliner Straße 65/66 und Barstraße 11/12, denen ihr Eigentümer Balkone anschrauben will. „Diese Balkone überformen die Häuser in unangemessener Weise, verschatten das Erdgeschoß und sind unnötig, weil jeder Wohnung von Anfang an hinter dem Haus ein Garten zugeordnet ist. Sie dienen nur dazu, einen Modernisierungszuschlag bei den Mieten zu erreichen.“ Die Stellungnahme des Denkmalbeirats vom Februar 2020, an der er mitwirkte, erinnert außerdem daran, daß der Bebauungsplan von 2000 diese Häuser als „städtebauliches Erhaltungsgebiet“ festgelegt hat und daß das zugrundeliegende Gutachten von 1994 Balkone „ausdrücklich nur bei Villen als ortsbildprägende Gestaltung erwähnt“. Die Experten kamen zum Ergebnis, daß die geplanten Balkone „die ortstypische Außenansicht zerstören und damit das Ortsbild regelrecht verschandeln“, weshalb sie „nicht zu genehmigen“ seien. Auf dieser Grundlage faßte am 19.2.2020 die Bezirksverordnetenversammlung einstimmig einen Beschluß gegen dieses „Verschandeln“.
Eine Aufgabe für die Bezirksverordneten
Da das Landesdenkmalamt die gewünschte Unterdenkmalschutzstellung jedoch nicht vornimmt – es erachtet die Erhaltungssatzung für völlig ausreichend –, werden die Bezirksverordneten nun selbst gefordert sein, diesen städtebaulich so bemerkenswerten Teil unseres Bezirks gemäß ihrem eigenen Beschluß in der Auseinandersetzung mit dem Bezirksamt zu erhalten. Wie gesagt: „Es bedarf des genauen Hinschauens und des Nachdenkens, so daß man Besonderheiten findet, die man erhalten möchte als Teile der historischen Überlieferung und als kulturelle Zeitzeugen.“