Die Einwohnerfrage ist tot

Es hat keinen Sinn, drum rumzureden: Die Einwohnerfrage ist tatsächlich tot. Totgemacht.

Ein letzter Versuch, dies abzuwenden, fand am 20. Januar 2022 in der Einwohnerfragestunde der BVV statt (3. Einwohnerfrage), denn seit Dezember 2021 gibt es eine neue Bezirksbürgermeisterin (Grüne Partei) und einen neuen BVV-Vorsteher (SPD); auch neue Hoffnung?
Beide knüpften nahtlos an ihre Vorgänger (jeweils SPD) an: Der Versuch scheiterte, die Einwohnerfrage ist ohne Wenn und Aber tot.

Zu Lebzeiten

Zu ihrer Lebzeit wurde die Einwohnerfrage von den Bürgern genutzt, um Sachverhalte aus dem Dunkel der Verwaltung ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Für weitere interessierte Bürger standen auf der Website des Bezirksamtes (BA) Fragen und Antworten nebeneinander (hier Beispiel vom Februar 2020), jeder konnte dort jederzeit nachlesen, daraus zitieren, Schlüsse ziehen und sich gegebenenfalls beteiligen. Die schriftliche Form (in Ergänzung zur eventuellen mündlichen Antwort in der Sitzung) diente somit der Transparenz und war ein Mittel der Bürgerbeteiligung, hatte also rundum einen demokratischen Charakter. Dies schloß ein, daß das BA Stellung nehmen mußte, und zwar in der Öffentlichkeit (im Gegensatz zu einer privaten Anfrage bei einem BA-Mitglied, die dieses vielleicht beantwortet, jedenfalls aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit).(1)

Danach

Im Januar 2020 begann der schleichende Tod der Einwohnerfrage mit einer Stellungnahme des Bezirksamtes (SPD, Grüne Partei, CDU), wonach die Einwohnerfragestunde der „unmittelbaren Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“ diene (siehe hier) und daher nur mündlich zu sein habe. Am Gesetzestext(2) hatte sich zwar nichts geändert – und bezeichnenderweise forderte bis dahin das BVV-Büro Fragesteller sogar auf, mitzuteilen, ob ihnen eine schriftliche Antwort genüge –, aber offenbar viel am Willen der Verwaltung und folglich an deren veränderter Gesetzesauslegung. Sofort leisteten alle Fraktionen Widerstand, aber im heißen Sommer 2020 schmolz dieser dahin, so daß ab August die neue Regelung galt: nur noch mündliche Antworten bzw. bei Abwesenheit überhaupt keine. Auf der Seite des BA sieht es seitdem so aus: Beispiel August 2020. So war nunmehr die demokratische Funktion der Einwohnerfrage, die eng mit der Schriftform verbunden ist, wie oben gezeigt, per Neuauslegung beseitigt, aber dafür kann seitdem die „unmittelbare Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“ zur vollen Wirkung gelangen.
Wie sieht diese Begegnung eigentlich in der Praxis aus?

„Unmittelbare Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“

Diese Frage wurde dankenswerterweise am 20.01.2022 im Zusammenwirken von Bürgermeisterin und Vorsteher beantwortet (Video ab 25:26; Hervorh. d. Verf. – mit den jeweiligen Links gelangen Sie direkt zum angegebenen Startpunkt):

BzBmin K. Bauch (ab 26:39): „Mit der Einwohnerfragestunde sollen die Einwohner unmittelbar in den politischen Erörterungsprozeß einbezogen werden. Durch eine schriftliche Beantwortung von Einwohnerfragen wird diese Art des Diskurses nicht erreicht. … Es geht primär um den Diskurs, um den Austausch, den wir mit den anwesenden Personen haben. … Einwohnerfragen sind ganz klar der verbale Austausch mit den Anwesenden in der Bezirksverordnetenversammlung.“

BVV-Vorsteher W. Tillinger (ab 31:04): „Bitte nur eine Nachfrage, kein Dialog!“

Wenn Sie jetzt stutzen sollten – dann haben Sie vielleicht Stoff für eine Einwohnerfrage und könnten sich auf diese Weise als Bürger am Diskurs beteiligen.
Apropos „Bürgerbeteiligung“:

Waren Einwohnerfragen überhaupt Teil der Bürgerbeteiligung?

Zwar stehen die Einwohnerfragen auf der BA-Seite zum Stichwort „Bürgerbeteiligungan erster Stelle, aber offenbar gibt es auch hier eine der Öffentlichkeit bisher unbekannte Neuinterpretation der Verwaltung, wie man aus der folgenden Anmerkung, die im Namen des BA abgegeben wurde, schließen muß:

BzBmin K. Bauch (ab 30:57) : „… weil wir ganz klar zwischen der Einwohnerfrage trennen und der Bürgerbeteiligung.“

Fußnoten:
(1) Siehe auch hier. [zurück]
(2) Die neue Auslegung wurde diesem Gesetzestext abgerungen:
§ 43 Bezirksverwaltungsgesetz (in der Fassung bis November 2021): „In jeder ordentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung soll eine Einwohnerfragestunde eingerichtet werden. Das Bezirksamt ist verpflichtet, in der Einwohnerfragestunde Stellung zu nehmen. Die Einwohnerfragestunde ist Bestandteil der öffentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.“
Auch in der Neufassung, seit 04.11.2021 in Kraft, ist von ‚nur mündlich‘ keine Rede; dem bisherigen Text wurde insofern lediglich dieser Satz hinzugefügt: „Eine Pflicht zur Beantwortung von Einwohnerfragen besteht jedoch nicht, wenn die Fragestellenden in der Sitzung ohne wichtigen Grund abwesend sind.“ [zurück]

3 Kommentare zu „Die Einwohnerfrage ist tot“

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Nach oben scrollen