Hat denn niemand das Zwangsarbeiterlager in der Wilhelmsaue 40 betrieben?

Am 10. März dieses Jahres im Kulturausschuß – fünf Jahre nach Kenntnisnahme – erkannte das Bezirksamt, vertreten durch die Kulturstadträtin, an, daß sich in der Wilhelmsaue 40 das Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf befunden hat.

Telefonverzeichnis des Bezirksamt Wilmersdorf Juli 1944

Die Stadträtin legte das Telefonverzeichnis des Bezirksamtes Wilmersdorf von 1944 vor, in dem das „Ausländerlager Wilhelmsaue 39/40“ aufgeführt ist. Dieser Fund habe sie nun überzeugt, daß das Lager in der Wilhelmsaue „definitiv vom Bezirksamt betrieben wurde“, wie sie wörtlich sagte.
Außerdem beschloß der Kulturausschuß in jener Sitzung einstimmig die Drucksache 1438/5; am 23.4. erteilte, ebenfalls einstimmig, die BVV ihre Zustimmung. Zur Wilhelmsaue 40 heißt es dort:
„Die Gedenktafel in der Wilhelmsaue 40 soll an das ehem. Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf an diesem Ort erinnern und seine Geschichte 1939-1945 aufzeigen.“

Textentwurf der Leiterin des Bezirksmuseums

Seit dem März sind acht Monate vergangen. Am 26. November um 17 Uhr will die Gedenktafelkommission per Zoom-Meeting den Text der Gedenktafel festlegen. Es gibt zwei Vorschläge. Der Entwurf der Leiterin des Bezirksmuseums beginnt* so:
„An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein Zwangsarbeitslager.”

Dieser Satz nennt nicht den Träger des Lagers (auch nicht später). Damit bleibt er erkenntnismäßig hinter der Stellungnahme des Bezirksamtes zurück, wonach das Lager in der Wilhelmsaue 40 „definitiv vom Bezirksamt betrieben“ wurde. Das gilt auch im Hinblick auf den von der BVV erteilten Auftrag – dort ist ausdrücklich die Rede vom „ehem. Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf“, an das erinnert werden soll. Und er ignoriert die Aussagen von drei Dokumenten:

  • Gesundheitsamt Wilmersdorf, 30.11.1942: Lagerbezeichnung „Bez.Verw. Wilmsdf.“
  • Wegweiser durch die Bezirksverwaltung Wilmersdorf, Stand 15.7.1944 (siehe Abb.): „Ausländerlager, Wilhelmsaue 39/40, Rathaus Wilmersdorf“
  • Schreiben des Stellv. Bürgermeisters Dr. Thümer vom 30.4.1944, worin er den ihm gegenüber weisungsgebunden „Lagerleiter Giminski“ erwähnt.

Die drei Dokumente zeigen: Die Stellungnahme des Bezirksamtes sowie die Beschlüsse von Kulturausschuß und BVV sind sachlich fundiert, die Bezeichnung als vom Bezirksamt Wilmersdorf betriebenes Zwangsarbeiterlager ist zutreffend.

Warum die Zuständigkeit des Bezirksamtes verheimlichen?
Kriegsverwaltungsbericht des Bezirksamts Wilmersdorf, S. 12

Welchen Grund kann es geben, der Öffentlichkeit diese Tatsache  vorzuenthalten? Es waren doch nicht nur private und staatliche Unternehmen, Kirchen und Privatpersonen, die Zwangsarbeiter benutzten, sondern auch der Staat selbst – bis hin zu den Bezirken. Übrigens beklagte das Bezirksamt Wilmersdorf schon in seinem „Kriegsverwaltungsbericht“ vom Frühjahr 1941** (Abb. links) den „ausserordentlichen Mangel an männlichen Arbeitern“, der „dazu gezwungen hat“, u.a. Ausländer einzusetzen. Und die wurden nun einmal im Lager Wilhelmsaue 40 untergebracht.

Wenn es also keinen sachlichen Grund gibt, diese Tatsache nicht auf die Gedenktafel zu schreiben – dann bleiben nur noch politische Gründe. Welche sind es?
Und wurde dabei bedacht, daß dadurch die offensichtliche Absicht des Bezirksamtes, historische Verantwortung für das Handeln seiner Vorgänger zu übernehmen, konterkariert wird? Hat doch Bezirksstadträtin Schmitt-Schmelz in der letzten Sitzung der Gedenktafelkommission (10.9.) „Bereitschaft für die Finanzierung der Gedenktafel signalisiert“.

Textentwurf der Historiker

Ein zweiter Entwurf wird zur Diskussion stehen. Er stammt von mehreren Historikern, unter ihnen die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, ein Mitglied der Berliner Geschichtswerkstatt und ein langjährig mit Zwangsarbeit befaßten Wissenschaftler der FU. Sein Einleitungssatz*** lautet: „An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein vom Bezirksamt Wilmersdorf geleitetes Zwangsarbeiterlager.”

Dieser Entwurf macht eine Aussage über die Zuständigkeit für das Zwangsarbeiterlagers. Er kommt damit dem Auftrag der BVV nach und entspricht der Absicht des Bezirksamtes. Mit dem Begriff „geleitet“ greifen die Verfasser die Tatsache auf, daß mehrere Dokumenten (darunter Abb. 3) die Leitung des Lagers durch das Bezirksamt Wilmersdorf bezeugen.
Noch korrekter wäre indes, die Verantwortlichkeit des Bezirks mit den eigenen Worten der Stadträtin vom März festzuhalten: „ein vom Bezirksamt Wilmersdorf betriebenes Zwangsarbeiterlager“.

Ergänzung:
Die Gedenkstele für die im Zweiten Weltkrieg in Hamburg-Bergedorf eingesetzten Zwangsarbeiter, enthüllt am 21. September 2012, enthält einen Schlußsatz, der begründet, warum es heute noch wichtig ist, daß wir der Zwangsarbeiter, in deren Leben man durch Entrechtung, Ausbeutung und Erniedrigung auf das schlimmste eingegriffen hat, gedenken sollte. Er gilt auch hier:

Diese Gedenktafel soll daran erinnern, welches Unrecht ihnen angetan wurde, damit nie wieder geschieht, was damals geschah.

____________________
* Vollständiger Text:
„An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein Zwangsarbeitslager.
Mehr als fünfzig zivile Zwangsarbeiter aus verschiedenen Teilen Europas – darunter Frankreich, Polen, Jugoslawien, die Tschechoslowakei und die Niederlande – waren hier untergebracht.
Das Bezirksamt Wilmersdorf setzte die Arbeiter für die Trümmerbeseitigung, die Bergung von Opfern nach Luftangriffen und weitere kommunale Aufgaben ein.
Zwangsarbeit war wesentlich für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft und Teil des Berliner Alltags. Auch Kriegsgefangene sowie Berliner Jüdinnen und Juden wurden von der Bezirksverwaltung zu Arbeitseinsätzen herangezogen.“
Anmerkung zum letzten Satz: Dies ist zutreffend, jedoch waren sie nicht in der Wilhelmsaue untergebracht. Nach dem Beschluß des Kulturausschusses gehört diese allgemeine Aussage daher eigentlich auf die zweite Gedenktafel am Haus Wallenbergstraße 13. [zurück]

** Landesarchiv Berlin A Rep. 039-08 Nr. 14 [zurück]

*** Vollständiger Text:
„An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein vom Bezirksamt Wilmersdorf geleitetes Zwangsarbeiterlager.
Über 50 Menschen aus Polen, Jugoslawien, Frankreich, der Ukraine, der Tschechoslowakei und den Niederlanden waren hier untergebracht.
Hier als Bild eingefügt: Ausschnitt aus einem Schreiben von 1943 mit dem Lager als Absender:

Die Bezirksverwaltung Wilmersdorf setzte sie bei der Trümmerbeseitigung und anderen kommunalen Aufgaben ein. Zwangsarbeit war Teil der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und im Berliner Alltag unübersehbar.“ [zurück]

5 Kommentare zu „Hat denn niemand das Zwangsarbeiterlager in der Wilhelmsaue 40 betrieben?“

  1. Heute (23.11.) ist intern ein dritter Textvorschlag übermittelt worden. Er wird hier (in der Originalfassung) wiedergegeben, um die Öffentlichkeit der Diskussion zu gewährleisten:

    – Textvorschlag: Stefan Knobloch

    „Hier, an diesem Ort befand sich während des Zweiten Weltkrieg ein “Städtisches Ausländerlager”, in dem über fünfzig Angehörige aus verschiedenen Nationen, u.a. aus Frankreich, Polen und Jugoslawien untergebracht waren.
    Nach Anforderung konnten diese Arbeitskräfte vom Bezirksamt Wilmersdorf für Kriegsschädenbeseitigung und anderen Aufgaben der Verwaltung eingesetzt werden.
    Zwangsarbeit war wesentlich für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft und Teil des Berliner Alltags. Auch Kriegsgefangene sowie jüdische Bürgerinnen und Bürger wurden vom Bezirksamt zur Zwangsarbeit herangezogen.“

    Anmerkung: Auch hier hat das Lager – trotz der klaren Aussagen der obigen Dokumente – niemanden, der es betreibt bzw. leitet. (M.R.)

    1. Ich finde, dass der dritte Textvorschlag das Anliegen der Gedenktafel-Initiative vollständig verwässert. Der Begriff „Städtisches Ausländerlager“ mit dem die damaligen Beamten des Bezirks Wilmersdorf das Zwangsarbeiterlager in Ihren Unterlagen benannten und der jetzt in den Text der Gedenktafel übernommen werden soll, beschönigt die Tatsache, dass Zwangsarbeiter entrechtet waren, unter widrigsten Umständen in ihren Unterkünften versorgt und über die Maßen ausgebeutet wurden. Manche haben diese Gräuel nicht überlebt. Gedenken heißt neben erinnern aber auch, zu mahnen, dass so etwas nie wieder geschieht. Dem dient die neu hinzugefügte Schlussformulierung, die m. E. unbedingt dazu gehört. Und natürlich müssen diejenigen benannt werden, die das Lager betrieben bzw. geleitet haben und das ist der Bezirk Wilmersdorf, den es ja bis heute gibt. Ich schreibe das als jemand, der in der Nähe von Coburg lebt und der miterleben muss, wie eine Stadt Geschichtsrevisionismus betreibt, wie man das sonst nur von der Neuen Rechten her kenn. Der Stadtrat hat einem Profiteur des Naziregimes und Mitglied der NSDAP, Max Brose, ehemals Unternehmer in der Metallbranche, der für den Krieg Benzinkanister herstellte, einen Straßennamen gewidmet. Max Brose hatte dafür Zwangsarbeiter beschäftigt und zwar so, dass sie ausgehungert und in dünnen Textilien, häufig barfuß in zugigen Gebäuden für den Unternehmer haben schuften müssen. Viele haben das nicht überlebt. Aber Brose sei ja ein ehrenwerter Mann, so der Enkel, Michael Stoschek, der die Änderung des Straßennamens mit angedrohtem finanziellen Nachteilen für die Stadt Coburg erwirkt hat. Das alles auf dem traurigen Hintergrund der Stadtgeschichte, die Coburg als die erste Stadt ausweist, die den Ersten Bürgermeister (Franz Schwede) stellte, der Mitglied in der NSDAP war.(Nachzusehen in der ersten Jan Böhmermann-Sendung, ZDF-Royal) In der Stadt findet man bis heute nur wenige öffentliche Hinweise zu diesen unrühmlichen Fakten der Stadtgeschichte.

      1. Ein kleiner Hinweis für Herrn Donath:

        Die Bezeichnung Städtisches Lager ist keine Verwässerung der Zuständigkeit für das Lager. Städtische Lager, die der Bezirksbürgermeister in seinem Schreiben vom 30.04.1944 angibt, gab es. Sie unterstanden der Kontingentstelle für Arbeitseinsatz beim Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin, und die Bezirke der Reichshauptstadt Berlin erhielten auf Antrag zeitweise Arbeitskräfte zugewiesen. Im Schreiben vom 30.04.1944, wo der Bezirksbürgermeister seine Dezernenten anwies, dass zukünftig ihre Anträge auf vorübergehende Zuweisung dieser Arbeitskräfte seiner Genehmigung bedarf, dokumentiert dies. Zugleich möchte ich darauf hinweisen, dass in den Personalunterlagen der Bezirksämter stets vermerkt ist, dass die ausl. Arbeitskräfte in einem Arbeitsverhältnis mit der Reichshauptstadt Berlin und nicht mit dem Bezirk stehen. Die Städtischen Lager wurden nicht von der Reichshauptstadt betrieben, sondern das Lagerpersonal wurde von der Gauwaltung der DAF, lt. Dienstblatt der Stadtverwaltung der Reichshauptstadt gestellt. Ich hoffe, dass Herr Dr. Roeder diese Anmerkungen, welche seit Jahren bekannt sind, nicht wieder zum Anlass nimmt, um festzustellen, dass ich – wörtliches Zitat – reaktionaeren Kräften um den Bezirksbürgermeister Material liefere, um sein entdecktes, vom Bezirksamt Wilmersdorf betriebenes Städtisches Ausländerlager für Aufgabenstellung im Verwaltungsinteresse auf dem Grundstück der Reichshauptstadt Berlin und nicht des Bezirkes, zu verhindern.

        Mit freundlichen Grüßen nach Oberfranken
        Stefan Knobloch vmwsdr

        1. Besten Dank Herr Knobloch für Ihren Kommentar.

          Mir geht es darum, der Opfer zu gedenken und nicht der Täter. Deswegen finde ich die Bezeichnung auf der Gedenktafel “Zwangsarbeiterlager” zutreffender als den beschönigenden Begriff “Ausländerlager” zu verwenden. Zu allen weiteren Details Ihrer Ausführungen kann ich leider nichts beitragen, da ich mich da nicht auskenne.

          Grüße aus Oberfranken.

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