Beide Plätze sind die Folge von verkehrspolitischen Maßnahmen. Alles begann etwa 1542 mit einem mit Knüppeln befestigten Damm, der ermöglichen sollte, daß die kurfürstlichen Pferde trockenen Hufes durch den Morast zum Jagdschloß Grunwald gelangten. Danach tat sich erst einmal 330 Jahre nichts mehr.
Dann, im Jahr 1873, regte Otto vvon Bismarck an, aus dem Knüppeldamm einen Boulevard zu machen, denn die Hauptstadt des gerade gegründeten Deutschen Reiches sollte hinter dem besiegten Paris nicht zurückstehen. 1875 wurde dessen Breite durch allerhöchste Ordre festgelegt: 53 m, dreiviertel so viel wie Bismarcks Vorbild, die Champs-Élysées, jedoch mit Reitweg auf der Mittelpromenade. Erst 1882 gelang es, für die private Finanzierung die Kurfürstendamm-Gesellschaft zu gründen, die als Gegenleistung das Vorkaufsrecht auf 234 ha Wald erhielt: ein Stück des öffentlchen Erholungsgebietes Grunewald. Daraus wurde ab 1889 die Villenkolonie Grunewald.
So verbanden sich preußisches Renommee und privates Geschäft aufs schönste: ein Boulevard mit Reitweg als Zugang zu einer Villenkolonie.
Henriettenplatz als Verkehrsfläche
Auf dem Weg nach Westen kreuzt der geplante Boulevard die Ringbahn. 1877 wurde dort der S-Bahnhof Halensee eröffnet, im Mai 1886 der fertig gepflasterte Boulevard und zugleich eine Dampfstraßenbahnlinie in Betrieb genommen. Die umfassende Verkehrserschließung führte dazu, daß schon am Ende des Jahrhunderts im Norden von Wilmersdorf, wo es keine Vorsiedlung gab, ein neuer Ortsteil entstanden war: Halensee. Der Verkehrsknoten dient als sein Zentrum. In sechs Richtungen gehen von hier Straßen ab: der Kurfürstendamm, quer dazu die Ringbahnstraße, die nach Süden seit 1911 Seesener, Rudolstädter, Detmolder und Wexstraße heißt, und schräg angesetzt die Westfälische sowie die Georg-Wilhelm-Straße. Die so entstandene riesige Verkehrsfläche erhielt 1892 nach der Ehefrau des Großen Kurfürsten den Namen Henriettenplatz.
An dieser Platzgestaltung änderte sich bis zum Neubau der Kurfürstendammbrücke Ende der 1950er Jahre nichts.
Aus eins mach drei
Mit der neuen Brücke wurde der bisherige Knick zwischen Boulevard und Brücke durch eine flache Kurve ersetzt. Dadurch entstand 1961 erstmals auf der Nordseite ein nennenswerter Bereich nur für Fußgänger. Auf der Südseite wurde die durch Bündelung der beiden Straßeneinmündungen gewonnene Fläche zunächst für einen Parkplatz genutzt. Erst bei der zweiten Umgestaltung 1987 wurde auch die Südseite durch die Schließung der Seesener Straße zu einem Fußgängerbereich. Dieser besteht aus einer gepflasterten Fläche, am Rande möbliert mit einer Kolonnade samt Kiosk und Imbiß und gegenüber dem Medusen-Brunnen. Außerdem gab es damals zwei kleine Grünanlagen mit wenigen Bänken, die eine noch bestehende zur Westfälischen Straße hin, die andere mit Spielplatz lag zum Bahndamm. Der Nordteil des Platzes dagegen ist weitgehend platanenbestanden und mit einer Vielzahl von Bänken bestückt.
Die ursprüngliche riesige Verkehrsfläche wurde also dreigeteilt in zwei Fußgängerflächen von sehr unterschiedlichem Charakter und eine sie trennende breite Straße, über die hinweg kein direkter Übergang die beiden Fußgängerteile verbindet.
Bürgerinitiative Henriettenplatz Teil I
Die Bürgerinitiative (BI) gründete sich Anfang 2002 unter Beteiligung vieler Anwohner. „Das ist nun schon über 20 Jahre her, aber damals hatten wir Bürger noch eine Chance, Einfluß auf die Gestaltung unserer Stadt zu nehmen, wobei sehr half, daß sich verschiedene BIs gegenseitig unterstützen“, erzählt Heinz Murken, einer der Initiatoren. „An der Bahndammseite des Platzes und in die Seesener Straße hinein sollte ein Gebäuderiegel entstehen mit acht oder neun Geschossen vorne am Kurfürstendamm und sechs weiter hinten. Hauptzweck sollten anfangs Büros, Gewerbe und Läden sein.
Wir hatten damals 15 Forderungen aufgestellt. Darin stellten wir den Sinn des Baus infrage, da es zu der Zeit bereits einen Leerstand von 2 Mio. m² Bürofläche gab; das war wohl der Grund, daß in einem überarbeiteten Plan dann auch Wohnungen vorkamen. 1400 m² Ladenfläche waren vorgesehen; das ließ eine Verdrängung von Einzelhandel in der Westfälischen Straße befürchten. Die geplante Höhe hätte auf dem Platz nachmittags die Sonne ausgesperrt und insgesamt die Frischluftschneise verbaut. Und natürlich wollten wir die kleine Grünanlage am Platz mit dem gut besuchten Spielplatz und sechs gefährdete Kleingärten erhalten.
Wir haben damals sehr laut getrommelt und Veranstaltungen durchgeführt, auf denen wir Bezirks-, Landes- und Bundestagsabgeordnete zu Gast hatten, die sich alle mit wütenden Anwohnern auseinandersetzen mußten. Ich denke, das beeindruckte die Verantwortlichen, so daß man auf Bezirksebene ins Wanken kam und der damalige Investor sich zurückzog.“
Bürgerinitiative Henriettenplatz Teil II
Zwölf Jahre später gründete sich die BI neu, denn wie 2002 stand erneut eine Bebauung der Bahndammseite an, aber diesmal in viel größerem Umfang. „Im Herbst 2014 rollten plötzlich Baumaschinen an“, erinnert sich Rudolf Harthun, eines der BI-Mitglieder, „die Seesener Straße wurde gesperrt und Bäume der historischen Kastanienallee gefällt.
Es zeigte sich, daß ein Investor eine 200 m lange und sieben Geschosse hohe Wohnanlage bauen wollte. Und es gab schon Pläne eines anderen Investors im Internet, der diesen Riegel um weitere 200 m bis zum Henriettenplatz und Kurfürstendamm fortsetzen wollte.
Mit diesem Nordabschnitt ging es 2017 los. Das war das Ende für Kleingewerbe und Kleingärten, und am Henriettenplatz verschwanden Spielplatz und Grünanlage. Unsere BI wollte das vorhandene Grün und die vorhandenen Licht- und Luftschneisen erhalten. Dafür führten wir ab Januar 2015 für ein paar Wochen Mahnwachen durch.
Als der Investor 2016 dem bezirklichen Stadtplanungsausschuß sein Modell mit den riesigen Baumassen am Henriettenplatz vorstellte, präsentierte die Bürgerinitiative den Gegenvorschlag des Architekten Kay Zareh. Er stellte neben das Hochhaus einen höheren runden Turm und verband beide zu einem Tor. Das waren ‚Henriette und Henry‘. Die Berliner Woche nannte es „eine schwungvolle Weiterführung des vorhandenen Hochhauses nach Westen“. Aber den Ausschuß interessierten nur die Pläne des Investors. “
Platzneugestaltung
„Ende 2017 fand ein Workshop zur Neugestaltung des südlichen Platzteiles statt. Wir hatten daran teilgenommen und auch der Stadtrat. Das waren Planspiele auf dem Papier, bei denen Stadtmöbel hin- und hergeschoben wurden. Die Vorschläge waren für die BI nicht akzeptabel, z.B. Entfernung der Kioske, Verlegung der Bushaltestelle. Das angekündigte weitere Treffen gab es bis heute nicht, obwohl wir im Juni 2022 und im Januar unsere Forderung wiederholt haben. Dabei wäre eine Neugestaltung dringend nötig. Es gibt zu wenig Bänke und Bäume. Damals war der Platz nicht so öde wie jetzt.
Der Medusen-Brunnen steht immer noch hinter seinem Wintergitter. Wie uns gesagt wurde, sind die Pumpanlagen beschädigt. Laut Stadtrat fehlt für die Reparatur das Geld. Der Investor hatte im Workshop zugesagt, sich finanziell an der Neugestaltung des Platzes zu beteiligen. Aber wurde er darauf angesprochen, sich auch an der Instandsetzung des Brunnens zu beteiligen? Denn bis zu den Bauarbeiten war der Brunnen total funktionsfähig. Unsere dringende Anfrage vom Juni an den Stadtrat blieb bis heute unbeantwortet.“
Rathenauplatz
Der Rathenauplatz liegt an der Stelle, wo vorher der Kurfürstendamm endete und im Ortsteil Grunewald als Koenigsallee weiterlief. Nachdem der Senat 1955 für Westberlin einen Schnellstraßenring beschlossen hatte, fand hier 1956 der Baubeginn bis Hohenzollerndamm samt Tunnel unter dem Platz statt. Diese Stadtautobahn ist der alleinige Existenzgrund des Platzes. Er ist ein reines Verkehrsbauwerk, ein Verteilerkreis am Ende einer Autobahnausfahrt. Weder ist er zum Aufenthalt bestimmt, noch hat er – wie der Henriettenplatz – die Entstehung eines neuen Ortsteils begünstigt. Im Gegenteil: Platz und Südarm des Tunnels führten zur Zerstörung des Straßennetzes und zum Abriß von Wohnhäusern, vergleichbar mit der Lewishamstraße.
Benannt wurde der Platz nach Reichsaußenminister Walther Rathenau, der 1922 nahebei auf der Koenigsallee ermordet wurde. Ebenso wie der Henriettenplatz erfuhr 1987 auch dieser Platz eine Neugestaltung: auf der Mittelinsel wurde die Kreiselkunst „Zwei Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“ von Wolf Vostell aufgestellt. Schwer nachvollziehbar erscheint, daß damals viele dadurch den Verkehrskreisel verschandelt sahen. Ein protestweise gegenüber aufgestellter Beton-Trabi erschien wiederum anderen als Verschandelung; er verschwand alsbald.
Dies ist die leicht gekürzte Fassung des Artikels aus dem Oktoberheft von KiezWilmersdorf.
1 Kommentar
Hartmut Eschenburg aus Charlottenburg
am 25.10.2023 um 18:38
Vielen Dank an Michael Roeder für diesen ausführlichen und guten Artikel. Man muss sich angesichts dieses Städtebaus – auch beim Vergleich des zweiten und des fünften Fotos – fragen: Ist das heute Stadtplanung oder kann das weg?
Wenn die Berliner Stadtplanung sich das fünfte Foto angesehen und daraus die richtigen Schlüsse gezogen hätte, würde der Henriettenplatz heute anders aussehen und noch immer ein angenehmer öffentlicher Raum sein. Statt dessen hat man einem Investor einen Gefallen getan und damit dem Platz mit einem belanglosen Büroklotz mit gerasterter Computerfassade und verrammeltem Erdgeschoss für die nächsten 100 Jahre seine bisherige Aufenthaltsqualität genommen.
Man hat es geschafft, diesem öffentlichen Raum besonders im Winterhalbjahr und ausgerechnet am Nachmittag die Sonne zu nehmen und ihn damit unwirtlich zu machen.
Auf dem fünften Foto (von 1905) ist erkennbar, dass man sich beim Bau des repräsentativen Gebäudes des Bahnhofs Halensee der Bedeutung des Bahnhofs bewusst war. Heute dient der Bahnhof auch als Zugang zu einer weltweit bekannten und von Touristen und Berlinern viel besuchten attraktiven Geschäftsstraße und Promenade und vielen Bewohnern von Halensee und der Innenstadt als tägliches Entree. Statt diesem Rechnung zu tragen und den Bahnhof mit einem eigenen Gebäude sichtbar zu machen oder ihm zumindest in dem neuen Gebäude eine direkt vom Henriettenplatz aus betretbare attraktive Eingangshalle zu geben, muss man den Eingang suchen und findet dann einen verranzten blechernen Zugang in der Schmutzecke hinter dem Bürohaus.
Vielen Dank an Michael Roeder für diesen ausführlichen und guten Artikel. Man muss sich angesichts dieses Städtebaus – auch beim Vergleich des zweiten und des fünften Fotos – fragen: Ist das heute Stadtplanung oder kann das weg?
Wenn die Berliner Stadtplanung sich das fünfte Foto angesehen und daraus die richtigen Schlüsse gezogen hätte, würde der Henriettenplatz heute anders aussehen und noch immer ein angenehmer öffentlicher Raum sein. Statt dessen hat man einem Investor einen Gefallen getan und damit dem Platz mit einem belanglosen Büroklotz mit gerasterter Computerfassade und verrammeltem Erdgeschoss für die nächsten 100 Jahre seine bisherige Aufenthaltsqualität genommen.
Man hat es geschafft, diesem öffentlichen Raum besonders im Winterhalbjahr und ausgerechnet am Nachmittag die Sonne zu nehmen und ihn damit unwirtlich zu machen.
Auf dem fünften Foto (von 1905) ist erkennbar, dass man sich beim Bau des repräsentativen Gebäudes des Bahnhofs Halensee der Bedeutung des Bahnhofs bewusst war. Heute dient der Bahnhof auch als Zugang zu einer weltweit bekannten und von Touristen und Berlinern viel besuchten attraktiven Geschäftsstraße und Promenade und vielen Bewohnern von Halensee und der Innenstadt als tägliches Entree. Statt diesem Rechnung zu tragen und den Bahnhof mit einem eigenen Gebäude sichtbar zu machen oder ihm zumindest in dem neuen Gebäude eine direkt vom Henriettenplatz aus betretbare attraktive Eingangshalle zu geben, muss man den Eingang suchen und findet dann einen verranzten blechernen Zugang in der Schmutzecke hinter dem Bürohaus.